Der Spitzenkandidat - Roman
Glück und ein Erdbeben oder ein Tsunami würden die Medien vom Deal mit Baumgart ablenken. Was ist schon ein Kleingarten im Vergleich zu einer Naturkatastrophe? Trotzdem, wohl war Bitter bei dem Gedanken an den Verrat der Kleingärtner nicht. Seine Sympathie galt ihnen, doch auch der Vorsitzende war ein Gefangener der Parteiräson.
Als Marion gegangen war, zündete sich Bitter eine verbotene Zigarette an. Verzeih mir, dachte er mit pflichtgemäßen Gedanken an seine besorgte Frau. Nicht nur Schneider würde aufhören. Bitter hatte sich vorgenommen, in fünf Jahren aus der Politik auszusteigen. Die Tage häuften sich, an denen Bitter sich fragte, welchen Sinn das Ganze überhaupt noch machte. Sein ganzes bisheriges Leben hatte er dem Primat der Politik untergeordnet. Seine Familie, seine Freunde, seine Privatinteressen, alles hatte stets hinter der Partei zurückstehen müssen. Freundschaften, deren Fundament nicht auf Vorteilserwägungen und politischem Kalkül, sondern auf echte Zuneigung baute, Leidenschaft, Zärtlichkeit, einfach mal in den Tag hinein leben, nichts davon hatte in seinem Leben Platz. Aber noch war es nicht zu spät, noch hatte er einige Jahre vor sich. Und obwohl die Wahl noch nicht einmal gewonnen war, erschien ihm mit einem Mal der Gedanke verlockend, in der Mitte der neuen Legislaturperiode alles hinzuschmeißen. Vorerst würde er das für sich behalten, er kannte seine ehrgeizigen Pappenheimer. Wenn es soweit war, würde er die Gremien informieren und gleich seinen Nachfolger präsentieren. Wagner war ein famoser Kerl, aber nicht ehrgeizig genug, ihm fehlte der unbedingte und rücksichtslose Wille zur Macht. Marion Klaßen schätzte er anders ein. Ein wenig erinnerte sie ihn an Uwe Stein. Als er zum ersten Mal bei Bitter gewesen war, hatte er auf demselben Sessel gesessen wie sie. Bitter gratulierte sich zu seiner Menschenkenntnis. Er freute sich schon auf die Gesichter der Parteifrauen, wenn er eine junge Frau als seine Nachfolgerin vorschlagen würde. Sie würde, anders als Stein, nicht den Brutus geben. Irgendwann wäre Stein gestürzt und sein Absturz wäre genauso spektakulär verlaufen wie sein kometenhafter Aufstieg. Eigentlich jammerschade, dass er das nun nicht mehr erleben würde.
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Bürgerpartei gewinnt die Landtagswahl in Niedersachsen, absolute Mehrheit erreicht
Mit einem amtlichen Endergebnis von 45,2 Prozent der abgegebenen Stimmen hat die Bürgerpartei erstmals in Niedersachsen die absolute Mehrheit erreicht. Der designierte Ministerpräsident und Parteivorsitzende Alfred Bitter kann künftig ohne den kleineren Koalitionspartner regieren. Für seine Partei bedeutet das zwei zusätzliche Ministersessel. Es wird damit gerechnet, dass auch die beiden Staatssekretäre, die bislang vom Koalitionspartner gestellt wurden, künftig der Bürgerpartei angehören. Damit ist die Mehrheit im Bundesrat für die Bundesregierung vorerst gesichert. Entsprechend erleichtert zeigte sich der Bundeskanzler
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Was viele dem Politiker, der dem konservativen Flügel seiner Partei angehört, nicht zugetraut hatten, ist Bitter gelungen: Er hat die Lücke, die der vor vier Wochen ermordete charismatische Spitzenkandidat Uwe Stein hinterlassen hat, nicht nur gefüllt, sondern für seine Partei die hohen Zustimmungswerte in der Bevölkerung halten können. Ersten Wahlanalysen zufolge hat die Partei zwar in den Großstädten und bei berufstätigen Frauen Einbußen hinnehmen müssen, dafür aber an den rechten Rändern und in den ländlichen Regionen deutliche Zuwächse erzielt
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Das neue Kabinett wird wenig Überraschungen bringen. Bis auf das Kultusressort und das Verkehrsministerium werden keine Veränderungen an der Spitze erwartet. Das Kultusministerium wird künftig vom Braunschweiger Landtagsabgeordneten Bernd Schneider geleitet, als neue Staatssekretärin ist die erst 32 Jahre alte Marion Klaßen, Abgeordnete aus Celle, im Gespräch. Sie wird dem Vernehmen nach allerdings auch für das Verkehrsministerium gehandelt. Auch Ambitionen nach Berlin werden der aufstrebenden, attraktiven Politikerin nachgesagt. Der Wahlkampfmanager Bernd Wagner, der zuvor Regierungssprecher in der Staatskanzlei war, wird mit einem Ministerposten belohnt. Er soll künftig das neu geschaffene Europaministerium in Niedersachsen leiten. Neu besetzt wird im Zuge der Regierungsumbildung auch die Polizeiabteilung im Innenministerium. Nachfolger des aus Altersgründen ausscheidenden bisherigen Abteilungsleiters soll Jürgen
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