Der Stammgast
sich schon vor die Notwendigkeit gestellt, mit ihr wegzuziehen, nochmals in ein anderes Land.
Der Leiter der Ausländerbehörde bemerkte es ebenfalls, obwohl er ständig wegzusehen schien. Er blieb vollkommen ruhig und höflich, und sein verbindlicher Tonfall vermied jeglichen Nachdruck.
»Die Besprechung mit meinem Vorgesetzten ergab …«
Jonsac hob den Kopf. Er versuchte erst gar nicht, die Mischung von Verzweiflung und Hoffnung vor dem Beamten zu verbergen.
»… daß dieses Mädchen nur dann weiterhin in der Türkei bleiben kann, wenn es legal eine Person heiratet, die selbst zum Aufenthalt berechtigt ist …«
Der Beamte erhob sich, gab dem Besucher die Hand und geleitete ihn zur Tür.
»Was die Ausweisungsverfügung betrifft«, fügte er hinzu, »so wird sie in den nächsten zwei oder drei Wochen nicht vollzogen.«
Jonsac ging durch die staubige Mittagshitze, als tappte er in einer Wolke herum. Er wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Alles kam ihm unwirklich vor.
Zum Beispiel befand sich Nouchi zur Stunde in Müfti Beys Wohnung, wo wahrscheinlich der Albaner auf dem Gaskocher ein Essen zubereitete.
Gleichwohl wies Jonsac den Gedanken an eine Heirat, wie ihn der Beamte vorsichtig angedeutet hatte, nicht von sich.
Es war heiß. Schatten gab es nur in den engen Gassen, wo sich die Einheimischen drängelten. Jonsac mußte sich zwischen Lastenträgern, Eseln, Säcken und Kisten durchzwängen, die von den überquellenden Läden bis mitten auf die Straße hinaus reichten.
»Ich muß mit ihr reden«, beschloß er plötzlich.
Er beschleunigte den Schritt und ging zu Fuß zum › Pera Palas‹ ,wo er sich in der kühlen Bar auf einen Hocker setzte. Er hatte noch nichts gegessen, doch er begnügte sich mit Mandeln, die er zum Raki knabberte.
Um zwei Uhr war Nouchi noch nicht zurück. Um drei Uhr saß Jonsac immer noch an der Bar, mit etwas schwerem Kopf von den vier oder fünf Gläsern Alkohol, die er getrunken hatte.
»Na, nicht in Form heute?«
Jonsac fuhr zusammen und drehte sich ruckartig um. Vor ihm stand Graf Stolberg, in Begleitung eines weißgekleideten Mädchens. Zuerst nahm er beide nur verschwommen wahr. Jonsac war so in seine Gedanken versunken, daß er wie aus dem Schlaf aufschreckte, und das Mädchen verbarg nur mit Mühe ein Schmunzeln.
»Warten Sie auf jemanden?« fragte Stolberg.
»Nein …«
»Dann trinken Sie ein Gläschen mit uns?«
Er machte bekannt:
»Bernard de Jonsac, von der französischen Botschaft. Fräulein Leyla Pastore, eine der hübschesten Bewohnerinnen Peras …«
Es war eine Hotelbar wie jede andere, mit dem einzigen Unterschied, daß die Wände mit schweren Orientteppichen behängt waren. Die Sessel waren tief, die Mahagonimöbel dunkel und edel, der Barmann verschwiegen.
»Haben Sie schon ihre Freunde getroffen, seit Sie aus Ankara zurück sind?«
»Vergangene Nacht sind wir miteinander ausgegangen.«
Stolberg kannte sie alle ebenfalls. Er machte bei der Gruppe mit, ohne ihr anzugehören. Er war groß, hellhäutig, blond, um die dreißig, und sein Vater, der ehemalige schwedische Botschafter, hatte ihm ein Yali am Bosporus hinterlassen.
Stolberg hatte kein großes Vermögen, doch er konnte davon leben, ohne arbeiten zu müssen, und er stieß oft zur Clique um Müfti Bey, Selim, Uzun und den anderen.
»Ist Selim Bey noch dicker geworden?«
»Ja.«
»Haben Sie geraucht?«
»Ein wenig.«
»Haben Sie es schon ausprobiert?« fragte er das Mädchen.
Sie war ebenso groß wie Stolberg und trug ein weißes Flanellkostüm, das sie offenbar in Paris hatte machen lassen. Im Augenblick überlegte Jonsac nicht, ob sie schön sei oder nicht. Er empfand nur ein Gefühl von Eleganz, von Luxus. Das Gespräch schleppte sich dahin.
»Wir könnten ein nächtliches Treffen bei mir veranstalten«, schlug Stolberg zu Leyla gewandt plötzlich vor. »Würden die Eltern Ihnen erlauben zu kommen?«
»Sie lassen mich tun, was ich will. Ich bin dreiundzwanzig!«
»Hätten Sie Lust auf eine original türkische Nacht? Jonsac, Sie müßten in diesem Fall unsere Freunde benachrichtigen. Warten Sie … Heute ist Mittwoch … Sagen wir Freitag? Ich möchte Sie lediglich bitten, sich um die Musiker zu kümmern …«
In diesem Moment kam Nouchi herein. Der Portier hatte ihr mitgeteilt, daß sie in der Bar erwartet würde. Ohne Zögern und völlig ungezwungen ging sie auf die Gruppe zu und wartete, daß Jonsac sie vorstellte.
»Fräulein Nouchi, eine Freundin …«
Sie setzte
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