Der Stammgast
sich und bestellte ein gekühltes Getränk. Ihr Blick blieb an Leylas Handtasche hängen, die auf dem Tisch lag und deren Verschluß aus Platin war.
»Wohnen Sie in Stambul?« fragte Stolberg, um irgend etwas zu sagen.
»Ich denke, daß ich fortan hier wohnen werde.«
Nach einer Viertelstunde – Jonsac hätte nicht sagen können, wie es dazu gekommen war – verstand sie sich bestens sowohl mit dem Schweden als auch mit Leyla. Letztere gab ihr die Adresse einer Schneiderin, die jedes Jahr zweimal nach Paris fuhr, um neue Modelle zu holen, und die beiden Mädchen beschlossen, am nächsten Tag ohne Männerbegleitung zusammen essen zu gehen.
Das Paar verabschiedete sich, und Jonsac mußte sich anstrengen, um sich in die Stimmung zurückzuversetzen, in der er auf Nouchi gewartet hatte. In dieser vornehmen Hotelbar wogen die Worte des Kommissars weniger schwer, vor allem bei einem Mann, der inzwischen beim sechsten Raki angelangt war.
»Ich muß mit dir reden. Gehen wir hinauf …«
»Können wir nicht hier reden?«
Die Bar war leer. In sechs oder sieben Metern Entfernung machte der Barmann, mit dem Bleistift säuberliche Ziffern malend, seine Abrechnung.
Jonsac zuckte die Schultern. Hier oder anderswo, es spielte im Grunde keine Rolle.
»Übrigens tritt heute abend in irgendeinem Park eine große türkische Sängerin auf. Müfti Bey lädt uns ein.«
Mit einer Handbewegung fegte Jonsac Müfti Bey aus seinen Gedanken.
»Wir müssen ernsthaft miteinander reden«, sagte er. »Wir haben nämlich in den nächsten Stunden eine Entscheidung zu treffen. Du hast mich gefragt, was ich mache …«
»Ich weiß es inzwischen.«
»Was weißt du?«
»Daß du Dragoman bei der Botschaft bist.«
»Wer hat es dir gesagt?«
»Deine Freunde, letzte Nacht. Ich weiß auch, daß du wirklich de Jonsac heißt, daß du offenbar sogar Vicomte bist und ein altes Herrenhaus in der Dordogne besitzt.«
»Das Haus ist eine Ruine.«
»Aber der Bauernhof nicht, der dir einige tausend Francs im Jahr einbringt.«
Sie genoß seine Verwirrung. Genau das, was sie ihm jetzt sagte, hatte er ihr auch gestehen wollen, nur etwas anders.
»Und das alles haben dir meine Freunde …«
»Ich habe dir gesagt, daß sie nichts taugen. Müfti Bey hat mir vor einer Stunde eine Liebeserklärung gemacht, und hätte ich ihn nicht schallend ausgelacht, so hätte er es wahrscheinlich mit Gewalt versucht. Der Albaner hätte wohl den Wachhund gespielt.«
»Nouchi …«
»Was?«
Ja, was wollte er eigentlich? Was konnte er sich erhoffen? Er war nicht der Abenteurer, den sie sich vorgestellt hatte. Er war nichts als ein kleiner Landjunker, der nicht von seinem Vermögen leben konnte und deshalb mit seinen Sprachkenntnissen deinen Lebensunterhalt zu verdienen versuchte. In Berlin hatte ihn eine Untersuchungskommission engagiert. In Budapest hatte man ihn zum stellvertretenden Direktor eines Landmaschinenhandels gemacht, doch es hatte in einem Desaster geendet.
Jetzt war er Dragoman und …
Die Ellbogen auf den Tisch gestützt und das Kinn auf die gefalteten Hände gelegt, sah Nouchi ihm lächelnd in die Augen. Er geriet immer mehr aus der Fassung. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Nur die eine Gewißheit hatte er: Er wollte nicht wieder allein sein.
»Hör zu …« begann er.
»Willst du mir eine Szene machen? Laß dir gleich gesagt sein, daß ich auf meiner völligen Freiheit bestehe, genauso wie ich dir völlige Freiheit lasse. Das Mädchen zum Beispiel, das eben hier war, hat dich andauernd angestarrt …«
»Das ist mir egal.«
»Erstens ist das nicht wahr, weil du kaum das Lächeln unterdrücken kannst und man dir ansieht, wie wohl es dir tut. Und zweitens wärst du schön blöd, denn ich bin sicher, daß sie aus einer reichen Familie kommt.«
»Außerdem?«
»Nichts! Was hast du mir zu sagen?«
»Ich war bei der Polizei …«
Sie zog die Nase kraus und hob die Brauen an, ihre Pupillen rückten zusammen. Seit ihrer Kindheit hatte sie ständig mit der Polizei zu tun …
»Was wollen die schon wieder?«
»Du bist illegal.«
»Ich weiß. Und?«
»Es liegt ein Ausweisungsbefehl vor.«
Jetzt geriet Jonsac plötzlich in Fahrt, er sprach Sätze, die er nicht vorbedacht hatte, und fällte Entscheidungen, die er kaum überlegt hatte.
»Hab keine Angst … Meine Besprechung mit dem Chef der Ausländerbehörde hat folgendes ergeben … Wenn du jemanden heiratest, der in der Türkei aufenthaltsberechtigt ist, so …«
Er hielt inne. Nouchis
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