Der Stammgast
Gesicht war völlig verändert. Zum ersten Mal drückte es eine wirkliche Gemütsbewegung aus. Ihre Hände gingen auseinander. Eine Hand kam über den Tisch und ergriff Jonsacs Hand.
»Sei still!«
Auch er war plötzlich ganz gerührt, und es war ihm gleichgültig, daß der Barmann hersah.
»Ich fange morgen mit den Formalitäten an … Ich habe mich noch nicht erkundigt, aber so schwer kann es nicht sein …«
Mit gesenktem Kopf blickte Nouchi jetzt auf die Tischplatte, auf der sich die zierliche Form eines Kristallglases abhob. Schweigen trat ein. Jonsac behielt gedankenverloren die Hand des Mädchens in der seinen.
»Warum tust du das?«
»Darum!«
»Und wenn ich nicht heiraten will?«
Ihre Rührung war schon wieder verflogen. Sie hob den Kopf und zeigte ein angestrengt nachdenkliches Gesicht.
»Bitte …« murmelte er.
»Und wenn dann aber kein Mensch wissen soll, daß ich verheiratet bin?«
»Dann brauchen wir es bloß nicht herumzuerzählen.«
»Und wenn …«
Er erriet es und machte ein saures Gesicht.
»Warum?«
Ja, warum lebte sie mit ihm zusammen und verweigerte ihm, was sie, nahm man sie beim Wort, anderen gewährt hatte?
»Ich will nicht.«
»Nie?«
»Ich sage nicht nie. Ich sage nur: jetzt nicht. Du siehst also, daß du unmögliches Zeug daherredest …«
Sie stand auf, durchschritt die Bar und die Eingangshalle und schloß sich im Aufzug ein, der nach oben schnellte. Jonsac war ihr zögernd nachgegangen, und als der Aufzug wieder herunterkam, nahm er ihn ebenfalls.
Er hatte schon befürchtet, die Tür abgesperrt zu finden, doch sie ließ sich ohne weiteres öffnen. Nouchi lag auf dem Bett und blickte zur Decke. In flehendem Ton sprach er sie an, doch sie rührte sich nicht.
Da begann er, im Zimmer auf und ab zu gehen und ihr mehr oder weniger auf gut Glück einen Vortrag zu halten. Beim Sprechen wurde ihm zwar deutlicher, was er fühlte, doch er fand nicht die richtigen Worte.
»Deine Freunde sind nicht interessant!« hatte ihr Verdikt gelautet.
Nun stellte er fest, daß es stimmte. Sie hatte ihn dazu gebracht, über sehr vieles nachzudenken, und vor allem über sich selbst. Wie seine Freunde, so war auch er irgendwie auf der Strecke geblieben, und mit Vierzig lebte er immer noch wie ein Student in den Tag hinein.
Nein, das stimmte auch nicht ganz … Es war viel komplizierter als das …
Er hatte immer ein Junggesellenleben geführt, und ganz plötzlich, nur ein paar Stunden lang, hatte er das Leben zu zweit gekostet …
Und außerdem …
Noch andere Gefühle, Gedanken und Erkenntnisse wirbelten in seinem Kopf herum, doch sie ließen sich alle auf die eine Tatsache zurückführen: Er wollte nicht mehr von Nouchi weg, oder vielmehr wollte er nicht, daß sie ihn verließ!
Er flehte sie an. Er versprach ihr:
»Du hättest jegliche Freiheit. Ich schwöre dir, daß ich dir jegliche Freiheit lasse …«
Sie blickte immer noch zur Decke.
»Du sprachst von einer Wohnung an den Gärten von Taksim. Wir werden eine mieten, ich werde das nötige Geld beschaffen.«
»Wie?« fragte eine ruhige Stimme.
»Was weiß ich? Es wird sich schon etwas finden.«
Er brauchte sie, das war ihm klar. Er war bereit, alles zu versprechen, jeden Schwur zu tun.
»Warum heiratest du nicht das Mädchen, das wir vorhin kennengelernt haben?«
Als er nur wortlos die Schultern zuckte, fügte sie sehr ernst hinzu:
»Du könntest es tun, wenn du wolltest. Und du solltest es tun.«
»Aber, Nouchi!«
»Was ist denn dabei?«
»Wir heiraten. Wir sagen es niemandem. Und es bleibt alles beim alten.«
Sie setzte sich auf den Bettrand und warf die Haare zurück.
»Du wirst unglücklich sein.«
Sie mußte lachen, weil er hochrot angelaufen war und dadurch ganz anders aussah. Er glich jetzt weniger einem vornehmen, steifen Herrn als einem kleinen Jungen, dem die Tränen zuäußerst stehen.
»Gut, heiraten wir«, sagte sie schließlich in einem Ton, als hätte sie angekündigt:
»Wir wollen heute abend ins Kino.«
»Wirklich?«
Er ging auf sie zu und wollte ihre Hände fassen, doch sie stand auf und strebte dem Bad zu.
»Wir müssen uns fertigmachen. Müfti erwartet uns um sechs unten an der Bar. Ich werde wohl nach Wien schreiben müssen, wegen der Geburtsurkunde.«
Sie wechselte vor ihm das Kleid. An ihrer Miene war abzulesen, daß sie an die vielen ärgerlichen Formalitäten dachte.
»Wahrscheinlich braucht es auch die Einwilligung meiner Mutter, und ich muß nach Beirut schreiben, weil sie mit der
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