Der Stammgast
Truppe unterwegs ist. Sie begleitet meine vierundzwanzigjährige Schwester.«
Sie sprach weiter, während sie sich vor dem Spiegel schminkte, und unterbrach sich nur, als sie die Lippen nachzog.
»Einmal in diesem Constanţa, wo ich deinen Freund, den Bankier, kennengelernt habe … Wie heißt er noch?«
»Uzun.«
»Ja … Einmal haben zwei bessere Herren, deutsche Unternehmer auf Geschäftsreise, meine Schwester und mich zum Abendessen eingeladen … Es war auf der Terrasse des Restaurants am Hauptplatz, den Namen habe ich vergessen … Sie wollten uns imponieren und bestellten teure Sachen, Kaviar, Austern, Champagner … Meine Mutter, die sie nicht kannten, saß am Nebentisch und aß wie jeden Abend ein Sandwich … Irgendwann zeigte einer der beiden auf sie und sagte:
›Wenn ich mir vorstelle, daß die alte Ziege früher vielleicht mal hübsch war!‹
Meine Schwester und ich haben uns angeschaut …«
»Und dann?« fragte Jonsac.
»Nichts. Die Rechnung belief sich auf dreitausend Lei …«
4
Um Mitternacht hatte Jonsac stechendes Kopfweh und vor allem wieder das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Mindestens zehn Mal war er schon von der Terrasse am Wasser zur Terrasse im ersten Stock gewandert, und jedesmal hatte er einen verstohlenen Blick in sämtliche Zimmer geworfen. Jetzt tat er es wieder.
Es war, wie Stolberg es angekündigt hatte, eine richtige Bosporusnacht mit all ihrer Lauheit, Pracht und Erbärmlichkeit, mit ihren Düften und Modergerüchen. Wie in der Stambuler Landschaft insgesamt, so war auch hier die Romantik in vielem zu gewollt, doch es gab auch einige wirklich kostbare Momente, an deren Zustandekommen der Mensch keinen Anteil hatte.
Das Yali des Schweden, ein Holzhaus wie alle alten Yali, lag unmittelbar am Bosporus, und wenn die im Kayik ankommenden Gäste an Land gingen, standen sie schon fast auf der Schwelle des Vestibüls. Das tiefe Wasser war so kristallklar und ruhig, daß man bis auf die Grundfelsen sah, zwischen denen Fische gemächlich umherschwammen.
Die Kulisse, besonders aber die Größe des Hauses, hatten Nouchi beeindruckt. Bei ihrer Ankunft hatte Stolberg auf der großzügig bemessenen Stufe gestanden, die als Anlegestelle diente. Er trug einen grauen Zweireiher, und die Aureole der hinter ihm untergehenden Sonne ließ ihn noch blonder, noch unnahbarer, noch grandseigneurhafter erscheinen.
Was war anschließend geschehen? Jonsac hatte einige Mühe, seine Erinnerungen zu ordnen, er war zu angewidert und zu erregt zugleich. Vielleicht war er auch ein wenig betrunken, doch nicht so, daß es ihn am Denken hinderte.
Erst war der Sonnenuntergang gewesen … Die Gäste hatten sich auf der Terrasse versammelt … Um den Stil zu wahren, hatte Stolberg keine Sessel bereitgestellt, sondern scheinbar wahllos Kissen auf dem Marmorboden verteilt …
Alles saß durcheinander, Selim Bey deklamierte Verse, Uzun lag Nouchi zu Füßen, Müfti hatte außer Leyla auch den Bildhauer und dessen Bruder, ein richtiges Kalmückengesicht, mitgebracht. Auch Tevfik Bey war da, außerdem zwei oder drei junge Männer, die Jonsac nicht kannte.
Jenseits des Bosporus entfaltete Konstantinopel vor glutrotem Himmel seine Pracht von Minaretten und Kuppeln.
Dann spielten die beiden Musiker, die Jonsac engagiert hatte, auf sonderbaren Gitarren eine wehmütige Melodie mit einem ständig wiederkehrenden Motiv, das irgendwann dem Summen in der Luft angehörte.
Segelkähne glitten über den Bosporus. Handelsschiffe ankerten vor dem Hafen, und ihr oranger Menningeanstrich wurde in der Abendsonne blutrot. Stolberg kredenzte persönlich den Raki, den man zwischen zwei scharfen Vorspeisen in einem Zug zu leeren hatte.
Großzügigkeit hatte den ersten Teil des Abends bestimmt. Nouchi war dafür besonders empfänglich gewesen und hatte Stolbergs Nähe gesucht.
Der zweite Teil spielte sich im Eßzimmer beim Kerzenlichtdinner ab. Mindestens hundert Flammen erhellten mit ihrem trägen Geflacker den Tisch und die Gesichter. Nouchi hatte sich ganz selbstverständlich neben Stolberg gesetzt, weit entfernt von Jonsac, der Leyla zur Tischnachbarin hatte.
Der Tisch war lang. Nur gelegentlich bekam Jonsac das lebhafte Gesicht der Tänzerin zu sehen oder, da neben ihm Selim Bey für Leyla Gedichte rezitierte, ihr Lachen zu hören.
Von dieser Phase blieb noch etwas anderes haften: Das Mädchen in Weiß blickte nicht zu Nouchi hinüber, wenn diese auflachte, sondern sah neugierig Jonsac an.
Was war
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