Der Stammgast
hinstreckte.
»Sie sehen selbst, was es ist … Übrigens, da will ein Journalist aus Paris vom Ghasi empfangen werden. Wann kommt er?«
»Er wird stündlich erwartet.«
»Versuchen Sie, eine Audienz zu bekommen.«
Wie jeden Vormittag öffnete der Botschaftsrat eine Zigarrenkiste, und Jonsac bediente sich daraus, bevor er wieder ging.
Ein Dragoman war er! Er betrieb weder Spionage noch irgendwelche dunkle Geschäfte, und er war auch kein Dieb.
Er war eine Art Botschaftsdolmetscher und gleichzeitig eine Art Kommissionär in dem Sinne, daß man ihn mit den verschiedensten kleinen Aufträgen zu den türkischen Behörden schickte.
Jetzt zum Beispiel begab er sich zur Vilayet, zum Polizeipräsidium. Dorthin mußte er am öftesten, und er kannte sämtliche düsteren Gänge dieses großen Gebäudes, sämtliche Türen, sämtliche Büros.
Eines von ihnen, einen nüchternen, banalen Raum, betrat er jetzt. Drinnen gab er dem Leiter der Ausländerabteilung die Hand.
Hier konnte er sich unaufgefordert setzen. Der Kommissar betätigte eine elektrische Klingel, worauf alsbald ein Junge mit zwei Tassen türkischem Kaffee erschien.
»Ist es heiß in Ankara?«
»Heißer als hier. Wird der Ghasi immer noch heute oder morgen erwartet?«
Der Beamte war ein Mann um die Fünfzig, ergraut, in dunklem Konfektionsanzug mit Krawatte von der Stange, und man hätte ihn nicht für einen Türken gehalten, wäre da nicht die Bernsteinkette an seinem Handgelenk gewesen, deren Perlen er während des Gesprächs ein ums andere Mal zu zählen schien.
»Man weiß nie, wann der Ghasi kommt. Seine Jacht steht jedenfalls seit acht Tagen unter Dampf, um ihn jederzeit in Haydar Paşa abholen zu können.«
Jonsac hatte den gelben Umschlag geöffnet, sein Gesprächspartner nahm die Papiere entgegen und überflog sie. Es waren Anträge des neu angekommenen Journalisten, der um eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Bahnfahrkarte und den ermäßigten Tarif für Telegramme nachsuchte.
»Glauben Sie, daß Mustafa Kemal ihn empfängt?«
Der Beamte antwortete mit einer unbestimmten, salbungsvollen Geste.
»Kommen Sie morgen noch einmal vorbei.«
Das wäre eigentlich alles gewesen. Doch es lag in der Luft, daß der Türke noch etwas anderes zu sagen hatte. Zunächst hielt er seinem Gesprächspartner das Zigarettenetui hin und gab ihm Feuer.
»Ich hatte heute vormittag eine Besprechung mit dem Präsidenten«, begann er, sich im Stuhl zurücklehnend und immer weiter an seiner Bernsteinkette drehend. »Ihr Besuch kommt mir sehr gelegen.«
Es folgte eine lange Pause. Durch das offene Fenster sah man zwei Polizisten einen Gefangenen in Handschellen abführen. Zu dritt durchquerten sie den stillen, besonnten Hof.
»Ich glaube, Sie kennen eine ungarische Tänzerin, deren Akte mir gerade vorliegt.«
Jonsac hatte lange genug in der Türkei gelebt, um ruhig sitzen zu bleiben und abzuwarten.
»Wie Sie wissen, dürfen Ausländer seit einem Monat bestimmte Berufe bei uns nicht mehr ausüben. Betroffen sind unter anderem Tänzerinnen, Friseure und Handpflegerinnen. Die fragliche Person hat Ankara in dem Moment verlassen, als ihr die Ausweisungsverfügung zugestellt werden sollte.«
Jonsac versuchte, Haltung zu bewahren, doch er war rot geworden, und er wußte, daß der Polizeibeamte es bemerkt hatte.
»Und wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausübt …« fragte er versuchsweise.
»Dann um so schlimmer. Genau das habe ich auch den Präsidenten gefragt. Für einen Aufenthalt in der Türkei ohne regulär ausgeübten Beruf muß der Beweis erbracht werden, daß ausreichende Einkünfte vorhanden sind …«
Jonsac wußte seit langem, daß die Polizei gut organisiert war und jeder Ausländer ab seiner Ankunft überwacht wurde. Man wußte also sowohl, daß er Ankara in Begleitung Nouchis verlassen hatte, als auch, daß sie im › Pera Palas‹ im gleichen Zimmer wohnten.
Hier brauchte er sich nicht zu verstellen. Hier war er ein bloßer Dragoman, der Dragoman der französischen Botschaft. Er nahm sogar sein Monokel ab, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen, und er blinzelte ein paarmal wie ein Kurzsichtiger.
»Ich habe natürlich den Präsidenten gefragt, ob es eine Möglichkeit gebe, die Angelegenheit zu regeln. Früher wäre es überhaupt kein Problem gewesen, aber Sie wissen, wie der Ghasi auf die Einhaltung der Vorschriften pocht.«
Jonsac reagierte nicht. Er war wie versteinert. Jetzt wurde ihm erst bewußt, wie sehr er bereits an der Tänzerin hing. Er sah
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