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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ihr gesagt worden? Daß sie ein Liebespaar seien? Oder gute Freunde?
    Der dicke Selim Bey hielt sie zum Trinken an, und sie machte mit.
    »Ihre Freundin ist wirklich entzückend«, sagte Leyla plötzlich zu Jonsac. »Wir haben gestern zusammen einen Spaziergang gemacht, und ich habe selten solchen Spaß gehabt.«
    Unter sonst lauter Männern waren sie die einzigen Frauen, allerdings vom Typ her sehr verschieden. Leyla war Einzelkind, Tochter einer reichen, seit drei Generationen in Pera ansäßigen Kaufmannsfamilie. Sie gebärdete sich noch ungebundener als Nouchi, dabei verriet alles an ihr, bis hin zur kleinsten Geste, die großbürgerliche Herkunft.
    Wer hatte Jonsac nachgeschenkt? Als er nach dem Essen vom Tisch aufstand, hatte er einen schweren Kopf und allen Schwung verloren. Im Vestibül spielte wieder das kleine Orchester, und ein Gast hatte, weiß Gott wo, eine alte Türkin mit schriller Stimme aufgetrieben, die eine Stunde lang alte türkische Lieder sang.
    Die einen hörten zu, die anderen unterhielten sich gedämpft in einer Ecke. Das ganze Haus war nur schummerig beleuchtet. Hier und dort zeichneten Kandelaber rötliche Lichtkreise, dazwischen lagen weite Bereiche in einem Halbdunkel, das Gesichter und Hände nur ahnen ließ.
    Während des Liedervortrags war Nouchi mit Stolberg verschwunden, und als Jonsac ihr lange danach wieder begegnete, hatte sie, auf den Gastgeber weisend, gesagt:
    »Er hat mir das Yali gezeigt … Es ist phantastisch und voll der schönsten Sachen …«
    Stolberg lächelte; Jonsac lächelte gezwungen zurück.
    »Und jetzt«, erklärte sie, »gehen wir rauchen!«
    Also wurde geraucht. Und getrunken. Die Gesellschaft hatte keinen Mittelpunkt mehr. Einige waren im Vestibül geblieben, wo Selim Bey aus einem tiefen Sessel heraus den Musikern türkische Sagen erzählte. Jonsac hatte Leyla ebenfalls aus den Augen verloren. Schließlich entdeckte er sie in einem mit dunklen Stoffen ausgeschlagenen Boudoir, wo sie auf einem Diwan lag und die Haschischpfeifen rauchte, die Uzun für sie herrichtete.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte Jonsac Lust, alles abzublasen. Er spürte, daß etwas faul war. Er fühlte sich fehl am Platz und nirgends zugehörig.
    So verlegte er sich aufs Treppensteigen, denn ein Teil der Gäste begab sich auf die Terrasse im ersten Stock, während andere unten blieben.
    »Im Grunde drehen sich Fest und Leute nur um die beiden Frauen«, sagte er sich.
    Um die beiden Frauen und die vielen Flaschen! Da ging doch gerade das Kalmückengesicht vorbei. Der Kerl hatte irgendwo eine Flasche Whisky aufgetrieben und leerte sie jetzt zusammen mit seinem Bruder. Beide waren völlig betrunken. Sie wußten nicht, was sie wollten, und strichen, genau wie Jonsac, unschlüssig im Haus herum, mal im Dunkeln, mal im Schein der Kerzen, mal in der blauen Nacht der Terrassen.
    Jonsac sah nun Nouchi ein erstes Mal mit Stolberg zusammen: In einem unbeleuchteten Zimmer lagen die beiden auf einem Diwan nebeneinander. Alle hatten es gesehen. Was dachten jetzt die andern?
    Im Obergeschoß wurde ein Grammophon in Gang gesetzt. Jonsac ging hinauf und sah auf der dunklen Terrasse die Umrisse eines Paares: ein weißes Kleid und Uzuns schlanke Gestalt.
    »Wir sind nur ein Alibi!« dachte er zornig. »Wir bilden das Publikum für ihre Liebesspiele!«
    Er merkte, daß sein Gesicht und seine Bewegungen die quälende Eifersucht verrieten, und er versuchte, sich entspannt zu geben. Als er zum dritten oder vierten Mal die obere Terrasse durchquerte und eben eine Platte aufgelegt wurde, sprach Leyla ihn an.
    »Darf ich Sie um einen Tanz bitten?«
    Er tanzte. Ihre Taille umfassend spürte er, daß sie unter ihrem Kleid wenig anhatte, und er ahnte einen schlanken, festen Körper, sehr verschieden von Nouchis weichen Formen.
    »Sind Sie nicht in Stimmung?« fragte sie.
    »Woraus schließen Sie das?«
    »Sind Sie eifersüchtig?«
    »Überhaupt nicht.«
    »Wirklich? Macht es ihnen nichts aus, wenn die Frau, die Sie lieben, so umworben wird?«
    Was sollte er antworten?
    »Es ist eine eigenartige Nacht, nicht wahr?« redete sie weiter. »Für mich ist es das erste Mal, daß ich rauche, und mir scheint, daß es mich überhaupt nicht benebelt …«
    Im gleichen Moment, in dem sie das sagte, begann ihre Stimme unsicher zu wirken.
    »Ich amüsiere mich köstlich mit Ihren Freunden. Uzun hat mir mit wunderbarem Ernst den Hof gemacht. Kommen Sie, trinken Sie etwas …«
    Sie zog ihn zu einem Möbel, auf dem eine Reihe von Flaschen

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