Der Stammgast
heiraten und wie Bruder und Schwester zusammenleben?«
Er gab keine Antwort, weil er keine wußte. Er war durcheinander. Am liebsten hätte er Nouchi fest an sich gedrückt, doch dafür war es schon zu spät. Ihre Miene war wieder besorgt, was bedeutete, daß sie sich nur noch mit ernsten Dingen beschäftigte.
Sie stand auf und schob Leylas Handtasche zur Seite.
»Nachher gehst du ihr brav die Tasche bringen … Sie wird verliebt sein in dich …«
»Ach was!«
»Doch, doch! Sie hat nichts anderes zu tun, als verliebt zu sein. Sie soll sehr reich sein. Es wird dich noch gereuen.«
»Nouchi!«
»Nouchi hin oder her … Vorhin, bevor ich dich geweckt habe, bin ich deinen Kleiderschrank durchgegangen … Ich hatte es mir gleich gedacht, schon als ich dich in Ankara zum ersten Mal sah! Du warst sehr elegant, sehr gepflegt, äußerst gepflegt sogar, nicht eine Knitterfalte in deinem Anzug … Aber es gibt eine Art sich zu kleiden, die sagt alles … Ich habe dir angesehen, daß du nur diesen einen Anzug hattest … Du hast noch ganze drei Hemden, und von den zwei Paar Schuhen läßt mindestens eins durch.«
Seine Betretenheit belustigte sie.
»Vor mir brauchst du dich nicht zu schämen. Ich habe dir auch nicht geglaubt, als du mir weismachen wolltest, du seist ein Abenteurer …«
Während sie redete, machte sie im Zimmer Ordnung, sammelte Kleider vom Vortag auf und räumte sie ein.
»Wenn du wolltest, könntest du Leyla heiraten. Sie langweilt sich. Ihre Eltern sind offenbar alt, und sie hat keine Freunde … Man sieht es schon daran, daß sie ganz aufgekratzt bei Stolberg ankam …«
»Sprich nicht mehr davon.«
»Wie du willst. Aber du machst einen Fehler. Ich wäre nicht beleidigt, wenn du mit ihr ein Verhältnis anfangen oder sie sogar heiraten würdest.«
Jonsac war jetzt aufgestanden und hatte einen Morgenmantel über seinen Schlafanzug geworfen. Der Morgenmantel war zwar aus Seide, doch abgewetzt wie alles, was er besaß. Nouchi schien noch etwas sagen zu wollen, denn sie sah ihren Gefährten an, wie um zu prüfen, ob der Augenblick günstig sei.
»Erinnerst du dich an die Häuser, die ich dir bei den Gärten von Taksim gezeigt habe?«
Er stutzte. Sollte etwa alles nur ein geschicktes Spiel gewesen sein, eine einzige Komödie, mit der sie bei ihm etwas erreichen wollte? Doch er verscheuchte den Gedanken.
»Ich höre!«
»Heute nachmittag soll ich dort eine Wohnung besichtigen.«
Er runzelte die Stirn. Er hatte wieder seine würdige, ein wenig herablassende Herrenmiene. In der linken Augenhöhlung funkelte das Monokel.
»Mach kein solches Gesicht, sonst erzähle ich dir nichts mehr! Ein Schwede, der zum diplomatischen Corps seines Landes gehört, wohnt seit einem Jahr dort. Er muß dringend nach Schweden zurück, weil seine Tochter in Lebensgefahr schwebt. Er wird bestimmt monatelang wegbleiben, wenn er überhaupt zurückkommt, er hat nämlich auch Tuberkulose. Stolberg ist eng mit ihm befreundet. Er will mit ihm reden und ihm vorschlagen, daß wir während seiner Abwesenheit die Wohnung hüten …«
Sie lachte schallend.
»Schau dich im Spiegel an! Du bist wieder mal überhaupt nicht eifersüchtig!«
Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte:
»Immer noch nichts begriffen? Denk immer gut an das, was ich dir gesagt habe, vor allem an das mit meiner Schwester. Nie, hörst du, nie im Leben werde ich einem Mann gehören, nicht einmal dir!«
Sie küßte ihn auf die Wangen, dann auf den Mund.
»Überlaß die Sache mir … Kümmere du dich um Leyla, sie wartet sicher ungeduldig auf deinen Besuch und ihre Handtasche … Es kann sich noch lohnen … Am ersten Tag haben mich deine Freunde nicht interessiert, aber jetzt haben sie uns immerhin zu Stolberg geführt, und Stolberg besorgt uns nicht nur eine Wohnung, er wird uns auch mit Leuten bekannt machen, die uns nützlicher sind …«
»Was war letzte Nacht eigentlich noch, nachdem ich verschwunden bin?«
»Nichts. Sie waren zu Tode erschrocken. Das Kalmückengesicht hat in einem Zug eine ganze Cointreauflasche geleert, um wieder warm zu werden, dann wurde er grundlos wütend und wollte alles kurz und klein schlagen. Daraufhin wurde schleunigst Schluß gemacht …«
Sie erriet den Gemütszustand ihres Gefährten und fügte schnell hinzu:
»Aber sag ihnen um Himmels willen nichts! Wegen so etwas brauchst du dich nicht mit ihnen zu verkrachen.«
Jonsac hatte sein Rasierzeug zurechtgelegt und begann mit der Morgentoilette, als das Telefon
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