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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Koketterie und ohne Scham.
    »Stolberg ist verrückt …« bemerkte sie.
    Als er nicht reagierte, ergänzte sie:
    »Verrückt nach mir! … Was glaubst du, was diese Statuette wert ist?«
    Doch er hatte sich abgewandt, um sie nicht mehr zu sehen, und jetzt zog er die Decke über die Ohren, um sie auch nicht mehr zu hören. Gleichwohl rang er eine Viertelstunde lang mit sich selbst, um nicht aufzustehen und zu ihr zu gehen.
    Er schlief schlecht, es war eine Art Halbschlaf, in dem vom Rausch verzerrt die schändliche Nacht herumspukte, die er erlebt hatte.
    Er hatte nicht bemerkt, daß Nouchi an Leylas Handtasche gedacht hatte, die jetzt neben der ihrigen auf dem Tisch stand.

5
    »Wie spät ist es?« fragte er, noch ganz schlaftrunken.
    Doch dann ließ ihn etwas schlagartig wach werden und die Stirn runzeln. Er lag in seinem Bett im › Pera Palas‹ .Draußen war es längst hell, und der Stadtlärm dröhnte in Höchstlautstärke zu den Fenstern herauf. Nouchi saß auf dem Bettrand, und ihr Gesicht lächelte ganz dicht über ihm.
    Was ihn überraschte, war weniger ihre Gegenwart als ihre Ungezwungenheit, ihr offenes Lächeln und ihre fast mütterliche Zärtlichkeit. Auch die Zutraulichkeit, mit der sie halbnackt so nah bei ihm saß. Der Bademantel klaffte und ließ die Brüste vollständig sehen, und weiter unten schimmerte ein nacktes Knie.
    Jonsacs erste Reaktion war, nach seinem Monokel auf dem Nachttisch zu greifen. Doch Nouchi hielt ihm den Arm zurück.
    »Deine Würde kannst du später aufsetzen«, sagte sie, und ihr Lächeln wurde breiter.
    Sie war so aufgeräumt und fröhlich, wie man es manchmal grundlos am Morgen eines großen Festtages ist, so daß Jonsac eine Weile sein Gedächtnis durchforschte.
    Aber nein, er fand nur unangenehme Erinnerungen, und seine Griesgrämigkeit wurde noch dadurch gesteigert, daß Nouchi ihn hinderte, aufzustehen und sich den Schlaf aus den Augen zu waschen.
    »Hast wieder dein Trotzköpfchen aufgesetzt!« flüsterte sie und hielt den Kopf schräg, um ihn unter einem anderen Winkel zu betrachten.
    Sie schäkerte mit ihm wie mit einem Schoßhündchen, und plötzlich beugte sie sich hinunter und biß ihn in die Wange.
    »Na, wütend?«
    Ja, er war wütend, er wußte nur nicht, womit er die Strafpredigt anfangen sollte. Sein Blick fiel auf die Bernsteinstatuette auf dem Tisch, und er hatte nicht übel Lust, sie aus dem Fenster zu schleudern. Nouchi, die seinem Blick gefolgt war, trieb die Frechheit auf die Spitze.
    »Mein erster Geschäftsgewinn!« triumphierte sie ohne eine Spur von Scham.
    Als er daraufhin den Kopf abwandte, wurde sie einschmeichelnd.
    »Du bist ein großes Dummerchen! Wenn du dein Gesicht sehen könntest … Und du denkst dir solche Sachen …«
    Er wollte sich taub stellen, doch zu seiner grenzenlosen Verblüffung schlüpfte Nouchi behende zu ihm unter das Laken und kuschelte sich an ihn.
    »Wetten, du glaubst, ich hätte letzte Nacht mit dem langen Lulatsch geschlafen …«
    Sie war nicht wie sonst. Irgend etwas versetzte sie in Hochstimmung, und Jonsac, der dabei nicht mithalten konnte, kam sich lächerlich vor.
    »Ihr Männer seid doch alle gleich. Ihr glaubt, wir hätten nur immer das eine im Kopf … Sieh mich an! … Gib zu, daß du mir beim Aufwachen eine Standpauke halten wolltest …«
    Die Statuette sah unverändert vom Tisch herüber und erinnerte ihn an jede Einzelheit der scheußlichen Nacht. Andererseits war da Nouchis wohlig warmer Körper. Diese Art von Zuneigung, diese vertrauensvolle Hingabe war neu bei ihr.
    Verliebtheit war es wohl nicht. Es war kostbarer als das, feiner. Sie war gutgelaunt aufgewacht, hatte sich geräkelt und dann in Jonsacs Bett hinübergerollt, wie sie sich als Kind ins Bett ihrer Schwester gerollt hatte.
    »Dir geht’s schlecht, nicht wahr? Und du denkst, ich sei böse und tue dir absichtlich weh. Soll ich dir ein großes Geheimnis verraten?«
    Sie zog die Nase kraus, und ihre zusammenrückenden Pupillen verliehen ihr einen Ausdruck, wie er ihn noch bei niemandem gesehen hatte. Sie kam mit dem Gesicht ganz nahe an ihn heran, legte den Mund an sein Ohr, flüsterte ihm einige Silben zu und brach dann in schallendes Gelächter aus.
    »Nein! …« Er sah sie entgeistert an.
    »Ja, doch! So ist es, und so wird es immer bleiben!«
    »Aber, du hast doch selbst gesagt …«
    »Was habe ich gesagt?«
    »… Der Ghasi, in Ankara …«
    »Er hat mir den Hof gemacht, mehr nicht!«
    Sie lachte immer noch, aber schon weniger

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