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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Abgeordnete war fettleibig, doch sehr gepflegt, mit Seidenhemd, parfümiertem Taschentuch, schwarzem Haar und schwarzen Augen; er verkörperte den Typ des Pascha, wie man ihn früher auf Zigarettenschachteln abgebildet hat. Er sprach in schmelzendem Tonfall, wobei sein Akzent die Silben noch weicher machte; des Französischen wenig mächtig, begnügte sich der andere Türke meist mit einem Lächeln.
    Es standen schon einige Wagen vor dem Grandhotel von Therapia, und auf der Terrasse war ein Tisch für ein gutes Dutzend Gäste gedeckt.
    »Unser Tisch!« verkündete Stolberg. »Einige Freunde werden gleich zu uns stoßen. Gefällt es Ihnen hier, meine kleine Nouchi?«
    Er war nicht der einzige, der sie so nannte. Auch Müfti Bey durfte sich solche Intimitäten herausnehmen, und vor ein paar Tagen hatte Nouchi, als die beiden Männer und Jonsac zusammen diskutierten, scherzend gesagt:
    »Seid ihr euch bald einig, meine Herren Ehemänner?«
    Seitdem witzelte man:
    »Die drei Ehemänner der Ungarin …«
    Sie lachte. Auch jetzt noch warf sie Jonsac gelegentlich einen verständnisinnigen Blick zu, und dieser Blick hatte für sie beide eine Bedeutung, um die niemand wußte: Vor drei Tagen hatten sie heimlich geheiratet. Am frühen Morgen waren sie nach Üsküdar auf der anderen Seite des Bosporus gefahren. Ein katholischer Priester hatte sie getraut. Den türkischen Behörden hatte das genügt.
    Noch am selben Tag hatte Jonsac die Bescheinigung dem Leiter der Ausländerpolizei gebracht, der ihn wie gewohnt mit Kaffee und Zigarette bewirtete.
    »Ich wünsche Ihnen sehr viel Glück«, hatte er ohne die leiseste Ironie gesagt.
    Und er hatte der jungen Frau Blumen geschickt.
    »Sie haben keine Ahnung!« schien Nouchi zu sagen. »Schau, wie wunderbar die Welt um uns herum ist.«
    Passanten sahen neidisch zu ihnen her. Es gab zuerst mehrere Aperitifs, dann schlug Kataş Bey eine Fahrt im Motorboot vor.
    Von einem Matrosen in bestickter Matrosenbluse bewacht, wartete sein Außenborder am Kai. Die weiße Zwölf-Meter-Jacht, die etwas vom Ufer entfernt auf den Wellen schaukelte, gehörte ebenfalls ihm.
    Im Taxi kamen erst Uzun und Müfti Bey an, dann noch andere Leute, die Nouchi nicht kannte und die sie auch nicht beachtete. Sie stand im Mittelpunkt, und das allein zählte. Sie fühlte sich schön und begehrt. Was wollte sie mehr, es war der Gipfel dessen, was sie sich unter Glück vorstellte.
    Der Abgeordnete umwarb Nouchi mit einer Zudringlichkeit, die keinerlei Rücksicht auf Jonsac nahm. Hatte man ihm schon bedeutet, daß dieser nicht zählte?
    Die Spritzfahrt im Motorboot mit Kataş Bey war für Nouchi das, was in ihrer Kindheit eine verrückte Schiffschaukelpartie auf dem Rummelplatz gewesen war, nur noch viel berauschender. Das Haar schlug ihr um den Nacken, und ihr grünes Halstuch flatterte im Wind. Sie hatte das Kleid geschürzt und zeigte ihre schlanken Beine und die schmalen Knie, von denen ihr Begleiter die Augen nicht abwandte.
    Das Boot durchschnitt die Wellen so schnell, daß es sich anhörte wie zerreißende Seide. Als es ein kleines Kap umfuhr, wandelte sich die Kulisse, sie wurde weniger elegant, weniger aristokratisch, dafür belebter. Ausflugslokale säumten das Ufer, einige von ihnen waren auf Pfeilern ins Wasser hinaus gebaut. Musikanten in farbenprächtigen Kostümen spielten auf, Paare tanzten oder fuhren in gemieteten Ruderbooten spazieren, andere tummelten sich im Wasser – ein Gewimmel dicht an dicht, Bewegung und Sonne, wohin das Auge blickte.
    »Fahren wir nah heran …« sagte sie.
    Sie wußte, daß aller Augen auf das luxuriöse, schnittige Boot gerichtet waren und damit auch auf die Frau in Weiß mit dem Halstuch, das wie eine Standarte waagrecht im Wind stand.
    Sie genoß es: Da drüben war die Menge, das Volk, und sie konnte ihm aus sicherer Entfernung ein gnädiges Lächeln schenken. Sie wünschte sich Jonsac herbei, um ihm zurufen zu können: »Sieh sie dir an! … Sie sind im Autobus gekommen, zusammengepfercht wie die Sardinen … Wenn sie Durst haben, überlegen sie es sich zweimal, ob sie sich noch eine Limonade leisten können … Später dürfen sie dann völlig geschafft, mit weichen Knien, ausgedörrtem Mund und leerem Kopf noch eine halbe Stunde lang am Straßenrand auf den Autobus nach Stambul warten …«
    »Umkehren!« sagte sie im Befehlston.
    Plötzlich hatte sie fast panische Angst gepackt. Sie wollte kein solches Leben mehr führen. Obwohl es schon wesentlich besser war als das

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