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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ihre damals …
    »Sind wir schnell gefahren?« fragte sie.
    »Fünfundzwanzig Stundenkilometer.«
    Das Frühstück stand schon auf dem Tisch, und als sie sich setzten, fand Nouchi Gelegenheit, Jonsac heimlich die Finger zu drücken, wie er es inzwischen schon gewohnt war: eine Art Erkennungszeichen. Wie üblich wurden ihnen weit auseinanderliegende Plätze zugewiesen. Jonsac kam neben einen ihm unbekannten Türken zu sitzen, der zu ihm sagte:
    »Würden Sie unsere alten Dichter kennen, so würden Sie verstehen, daß die heutigen Türken …«
    Jonsac zitierte mit blasierter Miene sämtliche alten türkischen Dichter und lächelte melancholisch, als sein Nachbar begeistert ausrief:
    »Wie ist das möglich, ein Fremder kennt …?«
    Er war in der Tat eine erstaunliche Erscheinung, wie er dasaß mit Monokel, weißem Flanellanzug und grellbunter Krawatte. Auch einem Deutschen hätte er dessen Dichter aufsagen und einem Ungarn die alten magyarischen Märchen erzählen können.
    »Sind Sie Professor?« fragte sein Tischnachbar.
    »Nein … Ich habe ein bißchen studiert …«
    Drüben, am anderen Ende des Tisches, sprühte Nouchi vor Lebenslust, und ihr unregelmäßiges Gesicht wurde beinahe schön.
    Auch Müfti Beys Tischnachbar war Jonsac nicht bekannt. Er sah, wie dieser sich zu Müfti hinüberlehnte und etwas fragte, wobei er mit den Augen auf ihn deutete. Wahrscheinlich fragte er:
    »Wer ist dieser Herr mit dem Monokel?«
    Jedenfalls wanderte Müftis Blick von Jonsac zu Nouchi, wobei ein dünnes Lächeln über sein Gesicht huschte. Was er wohl antwortete? Jonsac wurde rot, und eine Weile aß er, ohne zu merken, was er tat.
    Als die Tafel aufgehoben wurde und die Gesellschaft sich auf den Weg zur Jacht machte, auf der eine Spazierfahrt vorgesehen war, rief Nouchi Jonsac herbei. Nach all dem Überschwang klang ihre Stimme plötzlich ernst.
    »Komm kurz mit«, sagte sie.
    Im Erdgeschoß gab es neben der Empfangshalle einen Salon. In diesen ging sie dem Abgeordneten und Jonsac voraus.
    »Amar Paşa hat mir gerade etwas Hochinteressantes gesagt.«
    Dieser nickte mit breitem Lächeln.
    »Die Rennbahn von Ankara soll ausgebaut werden. Besser gesagt, es soll ein modernes Stadion für alle Sportarten entstehen … Die Italiener und die Deutschen stehen schon in den Startlöchern mit Angeboten … Amar Paşa hat ein gewichtiges Wort mitzureden, und wenn du eine französische Gesellschaft auf die Beine stellen könntest …«
    Ihre Pupillen waren eng zusammengerückt und unverwandt auf Jonsac gerichtet.
    »Es geht um ein Geschäft von ungefähr fünfzig Millionen, nicht wahr, Amar?«
    Dieser nickte von neuem.
    »Morgen suchst du ihn in seinem Büro auf, er ist bereit, dir die nötigen Tips zu geben …«
    Man suchte nach ihnen. Müfti Bey streckte den Kopf durch den Türspalt.
    »Auf geht’s!« rief Nouchi, die zu ihrer Fröhlichkeit und Unbekümmertheit zurückfand.
    Es ging nur eine leichte Brise, aber sie genügte, um das Segel zu blähen und die Jacht sanft über das glatte Wasser des Bosporus zu treiben. Wie in Stolbergs Yali, so wurde auch hier ein Grammophon angestellt, und es wurden die gleichen Platten aufgelegt: Tangos, Blues und Zigeunerlieder, die Nouchi bisweilen mit hoher Stimme mitträllerte.
    Und wie bei Stolberg floß auch hier der Alkohol in Strömen.
    Die Jacht lockte sämtliche Mietboote und Kayiks an, die so nahe wie möglich heranfuhren, um den Reichen bei ihrem Treiben zuzusehen.
    »Mir scheint, unsere Gemahlin will uns verlassen«, scherzte Müfti mit einem Blick auf Nouchi, die sich im Bug zwischen die beiden Türken gesetzt hatte.
    Mit ehrlicher Verwunderung fügte er hinzu:
    »Wie haben Sie es nur angestellt, eine solche Frau zu angeln? Bald wird ganz Stambul in sie verliebt sein …«
    Was hätte Jonsac antworten sollen?
    »Wissen Sie, daß Amar Paşa einer der einflußreichsten Männer der Türkei ist? Er mischt ganz oben in der Politik mit …«
    Ab und zu hörte man Nouchi lachen oder etwas ausrufen. Die beiden Matrosen, deren Blousons der Name der Jacht in goldenen Lettern zierte, schenkten unermüdlich nach. Die weiße Mütze, die Kataş Bey sich aufgesetzt hatte, als er an Bord ging, hatte Nouchi ihm weggenommen.
    »Bernard!« schrie sie von weitem. »Wir müssen auch ein Schiff haben.«
    Jonsac hörte, wie der Besitzer antwortete:
    »Sie werden dieses hier benutzen, sooft es Ihnen beliebt. Ich werde meine Matrosen anweisen, sich zu Ihrer Verfügung zu halten …«
    »Siehst du,

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