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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nahm.
    Glich es nicht den anderen Booten, die, angelockt vom Luxus und dem fröhlichen Leben, die weiße Segeljacht umkreist hatten?
    Leyla würde jetzt wohl zurückrudern, um dann beim Essen zwischen ihren Eltern zu sitzen, die sie vielleicht nachher bitten würden, Klavier zu spielen.
    »Bernard!«
    Unwillig hob er den Kopf und sah, daß Nouchi, die immer noch die Matrosenmütze aufhatte, eine Champagnerflasche entkorkte.
    »Ich habe gerade vorgeschlagen, daß wir die Partie bei uns beschließen. Ich habe unseren Freunden gesagt, daß wir nichts zu Hause haben, aber wir könnten unterwegs in der Grande Rue das Nötige für eine kalte Mahlzeit besorgen …«
    Er wagte nicht, nein zu sagen. Er fühlte sich matt, und vor allem begann sich ein Ekelgefühl zu melden, das er von den Zechnächten her kannte.
    Nouchi hingegen verspürte weder Müdigkeit noch Überdruß, und ihre Verehrer machten jede ihrer Launen mit.
    Als die Jacht an den Lichtern des Dolmabahaçe, des ehemaligen Sultanspalastes, vorbeifuhr, zeigte Amar Paşa auf die erhellten Fenster im ersten Stock und sagte:
    »Der Ghasi ist da!«
    Jonsac mußte an die erste Nacht in Ankara denken.
    »Schade, daß er nicht unter uns weilt!« meinte Nouchi. »Er hat die faszinierendsten Augen, die ich je gesehen habe!«
    »Es ist durchaus möglich, daß ich Sie eines Tages bekannt mache …«
    Sie setzte ihre vielsagendste Miene auf.
    »Das wird nicht nötig sein.«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Ich habe mit ihm eine Nacht auf seinem Bauernhof bei Ankara verbracht. Nicht wahr, Bernard?«
    Dieser ertappte Müfti Bey bei einem hinterhältigen Grinsen. Stolberg sah weg.
    »In diesem Fall kennen Sie ihn wohl besser als ich!« entgegnete Amar Paşa sarkastisch. »Und das Fest hat wie immer bis zum frühen Morgen gedauert, nicht wahr?«
    »Um sieben Uhr ist der Ghasi in sein Arbeitszimmer gegangen und hat seine Sekretäre gerufen, um zu arbeiten. Er soll mit sehr wenig Schlaf auskommen.«
    Auf die Lichter des Palastes folgten die Lichter von Stambul. Man fuhr an ankernden Frachtern vorbei, an deren Reling sich schemenhaft die Gestalten von Matrosen abhoben.
    Amar Paşas Auto wartete am Hafen, doch es faßte nicht die ganze Gesellschaft, so daß Jonsac mit Müfti Bey und zwei Unbekannten ein Taxi nahm.
    »Unsere Gemahlin war noch nie so ausgelassen wie heute«, scherzte Müfti.
    Jonsac zuckte zusammen, denn im selben Moment mußte er an Leyla denken, wie sie allein in ihrem kleinen gelben Boot saß.
    »Sehr ausgelassen, ja«, sagte er tonlos.
    »Amar Paşa steht ihr an Temperament nicht nach!«
    Jonsac vergrub sich in seine Ecke und antwortete nicht. Als sie die Wohnung betraten, war sie schon hell erleuchtet und der Tisch vollgestellt mit allerlei Eßwaren, darunter ein ganzer Schinken und eine Kiste Champagner. Kataş und Stolberg waren mit Auspacken beschäftigt.
    »Wo ist Nouchi?« fragte Müfti Bey.
    Jonsac hätte nicht zu fragen brauchen. Er hatte Nouchi durch einen Türspalt hindurch im Badezimmer gesehen. Amar Paşa hatte sie an der Schulter gepackt, sie wehrte sich lachend und drohte ihm mit einem Cremenapf in der Hand.
    Als sie Sekunden später an ihm vorbeiging, drückte sie ihm so heftig die Fingerspitzen, daß er fast aufschrie.

7
    Jonsac saß an seinem gewohnten Platz am Fenster. Mittags hatte Avrenos einen anderen Kundenkreis abends. Es waren lauter Stammgäste, die zu einer bestimmten Zeit kamen, schweigend, meist Zeitung lesend ihre Mahlzeit einnahmen und nach einem schüchternen Gruß in die Runde wieder zur Arbeit gingen.
    Der Tag war besonders heiß. Das Pflaster des Gäßchens gleißte, es mußte glühend sein. Vor einigen Tagen war die Botschaft, wie jeden Sommer, aus den Räumen von Stambul an den Bosporus umgezogen.
    »Sie liebt an dir das genaue Gegenteil von dem, was ich an dir liebe«, hatte Nouchi am Morgen gesagt.
    Während Jonsac ins Leere blickend seinen Fisch verzehrte, mußte er unablässig an diesen Satz denken. Nouchi saß zur Stunde wahrscheinlich ebenfalls irgendwo beim Essen, mit Amar Paşa oder Stolberg, vielleicht auch mit Müfti Bey zusammen. Es war zu einer Gewohnheit geworden. Jonsac ging gegen elf Uhr aus dem Haus, machte seine Aufwartung in der Botschaft, aß dann irgendwo allein, und es kam vor, daß er seine Frau erst um Mitternacht wiedersah.
    Andere Male hinterlegte sie in der Bar des › Pera Palas‹ ,die einer ihrer Treffpunkte war, eine Nachricht oder ließ ihm ausrichten, wo sie abends sein würde.
    Außer Tevfik Bey, der

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