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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Diwans neben ihm saß.
    Zehnmal spähte sie zur Tür hinüber, und zehnmal mindestens wollte sie gehen. Vielleicht wußte sie ebenso wie er, was passieren würde. Schon lag ein Arm Jonsacs auf ihrer Schulter, und ihre Beine berührten sich.
    Sie ließ es widerstrebend geschehen. Sie hatte Angst, gleichwohl ging sie nicht. Sie blickte ängstlich um sich, während der Arm des Mannes sie enger umfaßte und eine Hand ihrem unbedeckten Arm entlangglitt, um sich in den Ausschnitt ihrer Bluse zu schleichen.
    »Ich habe Sie vom ersten Tag an geliebt, Leyla. Sie wissen es genau!«
    »Gehen wir!« hauchte sie schamrot.
    Was hinderte sie daran, aufzustehen und zu gehen, zur Tür hinaus, auf die Straße, ins Freie? Als ihr Blick auf das regenglänzende Fenster fiel, sehnte sie sich nach diesem kühlen Naß, das vom Himmel fiel, und sie hätte am liebsten dem Platzregen die Stirn dargeboten.
    Sie war in den Armen eines Mannes gefangen und nahm seine Küsse hin, widerspruchslos, widerstandslos, sogar ohne innere Auflehnung, wie schicksalsergeben.
    »Glauben Sie, daß Ihr Vater einwilligen wird?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie schien weit entfernt vom Gedanken daran. Manchmal bäumte sich ihr Körper kurz auf, doch zu schwach, um ihn aus der Umarmung zu reißen.
    »Sie sind schön, Leyla!«
    Es war nicht mehr wichtig, was Jonsac im einzelnen sagte. Er wußte es auch selbst kaum mehr, obwohl er seinen klaren Kopf behielt. Er spürte, daß er nichts überstürzen durfte, daß sein Sieg noch nicht endgültig feststand.
    Körperlich hatte er kein Verlangen. Er war nie leidenschaftlich gewesen, auch nicht sinnlich. Wenn er Leylas Körper streichelte, so verfolgte er damit ein konkretes Ziel, und was seine Augen aufleuchten ließ, war die Nähe des Sieges.
    »Lassen Sie mich«, wehrte sie sich sanft und mit schon etwas verschwommenem Blick.
    Dann leiser, bescheidener:
    »Warum, Bernard?«
    ›Ja, warum?‹
    »Weil ich Sie besitzen muß! Nachher, wenn Sie weg sind, muß ich spüren können, daß uns etwas fest miteinander verbindet. Verstehen Sie, Leyla? Nein! Stoßen Sie mich nicht zurück! Wir entscheiden in diesem Augenblick über unser Leben …«
    Sie senkte die Lider über ihre traurigen Augen. Gedankenfetzen und unzusammenhängende Bilder gingen Jonsac noch durch den Kopf, der Botschafter mit seiner schneidenden Höflichkeit … Nouchi, die bald hereinkommen und ihren Hut durchs Zimmer fliegen lassen würde … Sein Tisch bei Avrenos … Leylas gelbes Ruderboot … Der Spitzbart ihres Vaters …
    Seine Lippen hatten sich an den Lippen des Mädchens festgesaugt, und obwohl er nichts sah, hörte er mit irritierender Deutlichkeit den Regen auf den Balkon prasseln und sah innerlich die trüben Regentropfen die Scheiben herunterrinnen.
    Wieder hatte er das Gefühl, daß sich jemand im Vorzimmer bewegt hatte. Er dachte, die Negerin sei vielleicht zurückgekommen. Sie war neugierig, und schon mehrmals hatten Nouchi und er, wenn sie abends zu Bett gingen, sie hinter dem Vorhang aufgescheucht.
    Leylas zusammengepreßten Lippen entfuhr ein ersticktes Aufstöhnen, weil er sie plötzlich rückwärts hinunterdrückte. Kurz versuchte ihr Körper, sich zu wehren. Zweimal riß sie entsetzte, flehende und doch schicksalsergebene Augen auf, dann verzerrten sich krampfhaft ihre Züge, als Jonsac durch seinen Sieg zum Stillstand kam und ein Schweißtropfen von seiner Stirn fiel.
    Leyla weinte still. Ihr Gesicht war bleich, ihre Stirn zerfurcht, ihre Lider in einem schmerzlichen Ausdruck fest geschlossen, und manchmal löste sich eine Träne und rann den Nasenflügel hinunter.
    Sie dachte nicht daran, die Blößen ihres Körpers oder ihr Gesicht zu bedecken. Ihre eine Hand lag auf der zur Hälfte unbedeckten Brust, die andere mit gespreizten Fingern auf dem grünen Samt des Sofas.
    »Leyla!«
    Auch Jonsacs Stirn lag in Falten, als er sich erhob, einen flüchtigen Blick in den Spiegel warf und die Krawatte zurechtrückte.
    »Warum weinen Sie, ich liebe Sie doch …«
    Er fand nicht mehr den richtigen Tonfall. Er wartete ungeduldig darauf, daß das Mädchen vom Diwan aufstehen würde, vor allem darauf, allein zu sein und über die peinliche Angelegenheit mit der Botschaft nachzudenken, die ihn bedrückte.
    »Soll ich das Fenster öffnen?«
    Damit konnte er ein wenig Leben von draußen in den Salon hereinlassen, und er war weniger allein mit ihr. Er wollte schon eine Zigarette anzünden, doch dann steckte er das Etui wieder in die Tasche.
    »Meine kleine

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