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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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davon.
    Inzwischen zog eine Parade durch die Straßen. Paraden hatten ebenfalls nie viel Anziehungskraft auf mich ausgeübt, aber nachdem ich mich mit einer viertel Pipette Flackern gestärkt hatte, blieb ich an der Ecke stehen und sah den vorbeiziehenden Farben zu. Ich hatte Schwierigkeiten, meine Augen unter Kontrolle zu halten. Ich meine mich zu erinnern, daß ein Dutzend Nullaquaner, in ein gewaltiges schwarzes Walkostüm gekleidet, direkt vor mir vorbeikamen, aber das kann auch eine Erfindung meines fiebernden Hirns gewesen sein. Einmal in Stimmung, nahm ich minimale Dosen Flackern ein, um ein stetiges Glühen aufrechtzuhalten.
    Als ich Hunger spürte, kaufte ich von einem fliegenden Händler ein gebratenes Schaschlik. Ich aß es unter der Begleitung einer großen und ausgesprochen stümperhaften Blaskapelle.
    Die Lunglance würde am nächsten Tag Segel setzen. Es war unerläßlich, daß ich vor Mitternacht an Bord war. Aber bis dahin war noch reichlich Zeit. Mein Kopf wurde allmählich wieder klar, und ich nahm noch einen kurzen Schuß Flackern. Ein großer Trupp nullaquanischer Halbstarker, in identische lilablaue Uniformen gekleidet, kam die Starcross Street herabmarschiert, im Gleichklang singend. Wäre ich nüchtern gewesen, wäre der Anblick absolut unerträglich gewesen. Ich unterdrückte jedweden Gedanken an Dalusa. Ich würde schon früh genug wieder im emotionalen Dampfkochtopf der Lunglance stecken. Bei dieser Vorstellung überkam mich eine drogeninspirierte Depression. Ich fing schon an, mich übel, gefangen, frustriert und schwach zu fühlen. Ein flüchtiges Abbild von Dalusas aufgedunsenem Gesicht erschien vor meinem geistigen Auge, und ich fröstelte. Ich kam mir vor wie ein Mann, der sich sterbenselend fühlte und um sich schlagen wollte, obwohl er wußte, daß dies seinen elenden Zustand nur verschlimmern würde.
    Das Flackern machte mich fertig, schloß ich plötzlich. Ein geschäftstüchtiger Nullaquaner hatte vor seiner Kneipe eine Theke aufgebaut, und ich bestellte ein leichtes Bier. Ich mochte die leichten Biere Nullaquas, je leichter, desto besser. Die leichtesten waren fast ohne Geschmack.
    Vier oder fünf Bier später fand ich mich auf einem summenden, elektrisch angetriebenen Pendelzug wieder, der nordwärts zum zweiten Hafengelände fuhr. Von dort aus konnte man Fähren zu den übrigen vier Inseln der Drudenfuß-Gruppe nehmen. Der Zug bewegte sich mit irritierender Trägheit, vielleicht mit sechs Meilen in der Stunde, der Geschwindigkeit eines schnellen Fußmarsches. Ich hatte das Bedürfnis, auszusteigen und zu schieben, machte es mir aber statt dessen in dem Walhautsitz bequem, wobei ich die argwöhnisch dreinblickende nullaquanische Matrone mit dem Kopftuch neben mir anrempelte. Ihr natürliches Mißtrauen Seeleuten gegenüber wurde noch verstärkt durch die Tatsache, daß ich ein Außenweltler war.
    Die Zugwaggons waren kleine Zellen aus Plastik und Metall, die nur für vier Leute Platz boten. Jeder Waggon besaß zwei Walhautbänke, die eine in Fahrtrichtung, die andere entgegengesetzt. Als Nüchternheit mich übermannte, bemerkte ich, daß die beiden ernsten Geschäftsleute, die mir gegenübersaßen, mir die unerbittliche Wohltat ihrer Aufmerksamkeit widmeten. Ich schaute weg, lehnte mich zur Seite und ließ meinen Arm lässig hinaushängen. Der Wagen hatte ein Sonnendach, aber keine Fenster. Man brauchte sie nicht. Auf Nullaqua regnete es nie.
    Nullaquanische Sonnenuntergänge waren beeindruckend, stellte ich einige Zeit später für mich fest. Der Zug war auf dem Rückweg von den Hafenanlagen und voll mit schnauzbärtigen Fischern. Meist Krabbenfänger. Sie fetteten die Spitze ihrer Bärte ein.
    Die Sonne war bereits im Westen gesunken. Jetzt kroch der unregelmäßige Saum des Sonnenlichts langsam an der östlichen Felswand hoch. Das Licht war viel schärfer, weniger rosig als das staubgetrübte Felslicht auf Meereshöhe. Die Felsen hatten eine Albedo von etwa dreißig Prozent, stellenweise, wo lange geschmolzene Streifen der Felswand einen Obsidian-Schimmer gaben, die dort, wo Erzadern an die Oberfläche traten, glühend hell aufleuchteten, noch mehr. Die Sterne kamen heraus.
    Das Sonnenlicht beendete seinen Auftritt, indem es zum Rand der Klippe stieg. Einen Moment lang strahlten die Zacken in Sternengleichem Glanz; dann zeigten sie ein letztes Flimmern und tauchten wie der übrige Krater in schattige Düsternis.
    Und genau in diesem Augenblick, zweifellos von knausrigen

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