Der Staubozean
gebrechliche Seniorbürger versorgte. Wie alle Kulturen mit massiven technologischen Beschränkungen hatte Nullaqua einfach keine Verjüngungstechniken nötig, die das Leben über hundert Jahre hinaus verlängerten. Die Lebenserwartung der Nullaquaner lag bei nur neunzig Jahren, und den tattrigen Gaffern um mich herum, deren Nasenhaare im Alter weiß geworden waren, sah man jedes einzelne Jahr an.
Doch obwohl die Bürger wie Eintagsfliegen starben, war die nullaquanische Zivilisation in den letzten vierhundert Jahren einigermaßen stabil geblieben. Und obwohl die älteren Generationen schnell in die Krematorien geschafft wurden, war fast jeder in der Lage, einen direkten Nachfahren zu haben. Die kaum merklichen schleichenden Auswirkungen eines Erwachsenenlebens ohne Kinder wurden noch von nichtnullaquanischen Sozialwissenschaftlern gemessen. Und auf jenen fortgeschrittenen Planeten, die das Bevölkerungswachstum nicht in Grenzen hielten, betrug die Lebenserwartung - wenn man die Abtreibungen nicht berücksichtigte - nur dreiundzwanzig Jahre. Auf solchen Planeten töteten sie viele Kinder. Und natürlich packten Zukunftsschock und übermächtige Todessehnsucht fast jeden, vor allem auf fortgeschrittenen Planeten. Tief, ganz tief im Innern, wollten wir alle sterben.
Aber ich war nicht in Eile, überlegte ich, während ich eine Aluminiumgabel in einen schmackhaften Oktopus bohrte.
Durch die stieren Blicke zittriger Neugier, die die Nullaquaner mir zuwarfen, wurde mein Appetit nur geringfügig beeinträchtigt. Für einige dieser Fossile war ein Außenweltler immer noch ein ungewohnter Anblick. Ich überlegte, ob ich mir ein Nasentoupet zulegen sollte. Andererseits würden meine Augenlider meine Herkunft immer noch verraten; sie waren nicht gewellt, und meine Wimpern waren nicht dicht genug, um mich als Einheimischen auszuweisen.
Nach dem Essen verlor ich etwas Geld in einem Kasino; nicht genug, daß es mir weh tat, aber genug, um mich zu unterhalten. Danach fand ich ein Hotel, lehnte das Maßliebchen ab, das die Hotelleitung mir anbot, und versuchte zu schlafen. Mein Schlummer wurde ständig unterbrochen, da ein Chor betrunkener Seeleute alle halbe Stunde unter meinem Fenster auftauchte und obszöne Walfängerlieder sang. Es war unmöglich festzustellen, ob es jedesmal derselbe Chor war; jedenfalls sang er gleichbleibend schlecht. Wütend, wie ich schließlich war, nahm ich einen weiteren Schuß von Calothricks Flackern, und zwar eine solche Dosis, daß meine Ohren wie Kirchenglocken klangen und ich das Bewußtsein hinter einer Wolke aus blauen Flammen verlor.
Am nächsten Morgen erwachte ich von den Schreien einer großen Menschenmenge, die sich zwei Häuserblocks weiter auf der Starcross Street versammelt hatte.
Die Lunglance war unglücklicherweise am Vorabend eines örtlichen Feiertages gelandet, einem der wichtigsten des Jahres: Wachstumstag. Die Feierlichkeiten begannen mit einem Ringerwettbewerb. Ringkampf langweilte mich, also ging ich nach einem gemütlichen Frühstück im Hotelrestaurant aus und betrank mich. Als ich auf die Straße torkelte, wurde ich von einem blonden nullaquanischen Maßliebchen angesprochen, die mir begreiflich machte, daß sie besondere Feiertagspreise anbot. Mit einem psychologischen Einfühlungsvermögen, das für einen Nullaquaner ungewöhnlich war, bot sie mir sogar an, sich vor unserem Techtelmechtel die Nasenhaare stutzen zu lassen.
Es gab keinen vernünftigen Grund, sie zurückzuweisen. Sie war billig, sauber, gesund und frei von jeglichen emotionalen Nebenwirkungen. Außerdem war ich zwei Monate auf See gewesen.
Aber ich war erst am Anfang, die Tiefen des Masochismus auszuloten, die Dalusa mir eröffnet hatte. Ich gab dem Maßliebchen ein nullaquanisches Drei-Monun-Stück und bat sie, mich in Ruhe zu lassen.
Aber ich hatte nicht mit der aufrichtigen Abneigung gerechnet, die die Nullaquaner Almosen entgegenbrachten. Sie lehnte es ab, das Geld zu nehmen, ohne mir dafür irgendeinen Dienst zu erweisen. Offenbar neu im Geschäft, dachte ich erschöpft. Also sagte ich ihr - Folge einer verqueren Logik, die jetzt unverständlich erscheint -, sie solle den Matrosen Murphig von der Lunglance aufsuchen und ihm John Newhouses Entschuldigung übermitteln. Dafür könnte sie das Geld behalten.
»Entschuldigen wofür?« fragte sie.
»Wenn du nicht verschwunden bist, bevor ich bis drei gezählt habe, werde ich die Gewerbesynode informieren«, drohte ich. Eilig machte sie sich
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