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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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zusammenbanden, bewegte sich der Boden, und ich fiel nach vorn; bei dem Sturz versetzte ich dem Stopfen in dem winzigen Schlund des Ungeheuers mit meinem Kopf einen wuchtigen Stoß.
    Die Männer hatten keine Zeit verschwendet. Ich konnte sie durch das Bullauge beobachten, während sie die Taljen und Kurbeln der Winden und Kräne drehten.
    Sobald unser Gefährt sich abzuheben begann, war unheilverkündendes Knirschen, Ächzen und Krachen zu hören, als die natürliche Trägheit an den mumifizierten Muskeln und Knochen zerrte. Das dicke, ledrige Bauchfleisch des Bodens bog sich merklich unter dem Gewicht des Ballasts, und die knochenverstrebten Seitenwände neigten sich mit dem ächzenden Widerstand der Leichenstarre ein wenig nach innen.
    Ein gedämpftes Zischen war zu hören, als Desperandum die Ventile der Sauerstoffmaske aufdrehte. Langsam schwenkten wir nach außen, vom Deck weg über das friedliche Meer.
    Langsam sanken wir hinab und setzten mit einem mehligen Rascheln und Murmeln auf dem Staub auf. Vier gedämpfte Laute waren zu hören, als die Schlingen gelöst wurden, und wir sanken unter die Oberfläche. Desperandum stellte den Motor an, und dieser begann zu surren. Langsam trieben wir vorwärts. Staub floß schäumend über die Augenpfropfen, und in dem U-Boot wurde es pechschwarz. Hastig riß ich meine Maske vom Gesicht.
    »Zum Teufel!« schrie ich. »Es ist dunkel! Es ist völlig dunkel! Käpt'n, wir können nichts sehen!«
    »Natürlich nicht«, erwiderte der Kapitän gemessen. »Das Licht kann nicht nach innen dringen. Deshalb habe ich unser eigenes Licht einbauen lassen.« Ein Klicken, ein mattes bläuliches Licht von einer nackten Glühbirne über uns erfüllte das U-Boot. Ein bleicher Leichenhausglanz strahlte von den vorstehenden Knochenstücken inmitten der trockenen Haut der Wände unter der Decke. Ich nieste und setzte meine Maske wieder auf. Die modrige Trockenheit war scheußlich. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder den Bullaugen zu. Ein kompliziert strukturierter Staubwirbel zog über unsere Linsen und schabte sie langsam ab. Voll Schrecken machte ich mir klar, daß Desperandums ruhig vorgetragene absurde Behauptung mich einen Moment lang überzeugt hatte. Das Stechen des Staubs in meiner Stirnhöhle ignorierend, nahm ich meine Maske wieder ab. Ich schluckte, um meine Ohren von dem Druck zu befreien, und sagte:
    »Käpt'n, das ist lächerlich. Der Staub ist undurchsichtig. Genausogut könnten wir uns die Augen verbinden!«
    »In der Tat«, sagte Desperandum. Er bewegte die Enden der Hebel ein Stückchen nach oben, und das U-Boot tauchte bedenklich nach vorn ab. Er brachte uns wieder in die Horizontale. In meinen Ohren knallte es erneut, und aus den modrigen Gelenken von Rippen und Wirbelknochen erscholl ein Chor knackender Laute.
    »Bringen Sie uns zurück, Käpt'n! Die Fahrt ist ein Fehlschlag!
    Wir können nichts sehen, also riskieren wir unser Leben für nichts. Na los, Käpt'n!«
    Desperandum schlang die Sauerstoffmaske über den Rüsselstutzen seiner Staubmaske und inhalierte hörbar. Das Schiff schlingerte, und er packte die Flossenhebel fest.
    Die Laute kamen halb gedämpft aus dem Lautsprecher, als Desperandum entgegnete: »Es ist nicht Ihre Aufgabe, Theorien über die optischen Eigenschaften von Staub aufzustellen, Newhouse. Beobachten Sie nur weiter! Wir müßten bald die lichtdurchlässigen Schichten erreichen.«
    »Die lichtdurchlässigen Schichten! Die lichtdurchlässigen Schichten? Käpt'n, das ist Staub und kein Glas! Verdammt noch mal!«
    »Wirklich, Newhouse! Ihre Ausdrucks weise! Ich habe die Bedingungen unter der Oberfläche lange studiert. Sie brauchen nicht in Hysterie zu verfallen. Sie brauchen nur etwas Sauerstoff, das ist alles.«
    »Ich kann nicht verstehen, wieso ich nicht schon eher daran gedacht habe«, sagte ich. »Ihre Verrücktheit muß uns alle angesteckt haben.« Meine letzten Worte gingen in einem spröden Ächzen der unter Druck stehenden Rippen unter. Die Walhaut, die über den Spalt in der Seite des U-Boots geleimt worden war, beulte sich brüchig nach innen.
    »Das ist aberwitzig«, sagte ich hustend. »Ich will nicht in Ihren Selbstmord hineingezogen werden.« Ich bahnte mir den Weg durch die wahllos aufgehäuften Ballaststücke zu Desperandums Axt. Mit beträchtlicher Mühe gelang es mir, die riesige, doppelschneidige Axt auf eine Schulter zu heben. Schwankend bewegte ich mich auf die eingedrückte Haut zu; dort würde es am leichtesten sein, sie

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