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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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gemeine Tat. Und ich biete Ihnen die Chance, sich zu läutern, einmal etwas Selbstloses zu tun. Denken Sie einmal daran, Newhouse! Brauchen Sie das nicht ebenso wie ich?«
    »Sie irren«, entgegnete ich. »Ich liebe Dalusa. Wenn das hier vorbei ist, werde ich sie mit fortnehmen - irgendwohin, wo wir frei von Tod und Wahnsinn leben können.«
    Desperandum blickte mich fünf Sekunden lang streng an. Schließlich sagte er: »Sie lieben sie wirklich, nicht wahr? Sie haben ja noch ärgere Probleme, als ich gedacht habe.«
    »Das muß sich erst noch erweisen«, erwiderte ich. »Käpt'n, Kapitän Svobold, wenn die Legenden stimmen, sind Sie ein Ehrenmann. Ich liebe das Leben immer noch, aber ich trete mit Ihnen zusammen dem Tod entgegen, wenn ich muß. Aber ich will Ihr Wort, daß es danach keine Drohungen, offene oder unausgesprochene, mehr gibt.«
    »Sie haben mein Wort«, sagte Desperandum. Er streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie mit dem merkwürdigen Gefühl, mich in einem Alptraum zu befinden.
    Dann sicherte ich meine Maske und ging an Deck. An Steuerbord waren die Männer immer noch mit der Arbeit an dem Wal beschäftigt. Ich ging in die Küche hinab, um zu schlafen.
    Am nächsten Morgen war Desperandum versessen darauf voranzukommen. Ich fand kaum die Zeit für einen kurzen, tränenreichen Abschied von Dalusa, ehe er mich in seine Kajüte rief. Von dort schritten der Kapitän und ich mit der ganzen Würde, die wir aufbringen konnten, über das Deck zu unserem seltsamen Gefährt. Durch irgendeinen atavistischen sozialen Instinkt machte ich immer noch gute Miene zum Spiel, und der Kapitän war bis zum Ende ganz Gentleman-Wissenschaftler. Bedächtig schüttelte er die Hände der drei Maate, die unter dem festen Griff zusammenzuckten. Da mir nichts Besseres einfiel, schüttelte ich ebenfalls ihre Hände.
    »Gehen Sie wirklich da runter, Smutje?« fragte Grent mich, als er meine Hand schüttelte. Ich nickte. Ich bedauerte bereits, daß Grents Stimme meine letzte Erinnerung sein würde.
    »Ich hoffe, Sie sind zum Mittagessen rechtzeitig zurück«, sagte er. Ich nickte wieder, wegen der Maske konnte ich nicht antworten. Sonst hätte ich den Kapitän wahrscheinlich bloßgestellt und geschrien: »Er ist verrückt, seht ihr das denn nicht? Wir müssen ihn zu seinem eigenen Besten zurückhalten!« Aber es hätte nichts gefruchtet. Der Kapitän hätte dafür gesorgt, daß mein Leben ruiniert würde, und Dalusa hätte es auch weh getan.
    Der Kapitän winkte den Männern feierlich zu und ruinierte dann die Würde seines Abschieds, indem er seinen massiven Körper ungelenk durch den Schnitt in der Walhaut zwängte. »Traniges Glück, Käpt'n!« rief Flack, als ich ihm folgte.
    Wie es ihr Kapitän befohlen hatte, leimte die Crew eine Bahn doppeltgelegter Walhaut über unseren Eingang. In unserem muffigen, ausgeweideten Fahrzeug wurde es sofort dunkel. Meine Augen gewöhnten sich allmählich an das etwas trübe Sonnenlicht, das durch die glotzenden Augenpfropfen des Tieres hereinströmte. Desperandum - irgendwie konnte ich mich nicht daran gewöhnen, ihn als Svobold zu bezeichnen - nahm die Enden der eisernen Flossenhebel in seine kräftigen Hände.
    »Ich werde erst einmal navigieren, Newhouse«, sagte er freundlich, während er die Flossen probeweise ein Stückchen bewegte. »Sie gehen nach vorne zu den Bullaugen und übernehmen den Ausguckposten. Passen Sie auf den Ballast auf!«
    Meine Augen hatten sich jetzt an die neue Umgebung gewöhnt, und alles nahm eine halluzinatorische Klarheit an, als ich mir meinen Weg durch den aufgehängten »Ballast« bahnte. Es handelte sich um eine unglaubliche Ansammlung zusammengewürfelten Gerümpels: Rohrstücke, Drahtrollen, Eimer voller Bolzen, Bündel mit Schweißdraht, Metallkisten, mit Ersatzteilen für Fleischzerkleinerer vollgestapelt, der Ofen, der Recycler, sauber aufgespulte Meilen keramischen Kabels (es erstaunte mich, noch mehr davon zu sehen; der Teufel mag wissen, wo er das alles aufbewahrt hatte), Ersatzschäfte und - stiele für Harpunen, Flensspaten und -äxte, Desperandums riesige Axt und Kisten, die große Glasbottiche enthielten, die alle randvoll mit einer trüben gelblichen Flüssigkeit gefüllt waren. Das ganze Durcheinander war mit einem unregelmäßigen Netzwerk aus Kabeln zusammengebunden, das sich mit irrwitziger Zufälligkeit von Schrottstück zu Schrottstück spannte. Als ich mir meinen Weg nach vorn bahnte und die präzisen Seemannsknoten bemerkte, die alles

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