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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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einen schmutzigen Teller aus dem Regal, schabte ihn mit grobem Sand aus und sterilisierte ihn dann. Sie hob den Topf vom Feuer und spießte ein Stück Fleisch mit einer langen Gabel auf. »Haben Sie etwas dagegen, daß ich hier esse?«
    »Nein. Warum sollte ich?«
    »Die Männer im Kombüsenzelt mögen es nicht, wenn ich mit ihnen esse.«
    »Ich würde meinen, Ihre Gesellschaft sei ein großer Vorzug.«
    Sie legte ihre Gabel beiseite. »Mr. Jonnuhaus …«
    »John.«
    »John, ich zeige dir etwas.«
    Sie streckte ihre rechte Hand aus. Ich schaute sie an. Ein roter Hautausschlag zog sich über ihre Finger. Ich griff nach ihrem Arm. »Du hast dich verbrannt.«
    »Nein! Faß mich nicht an!« Sie sprang zurück und entfaltete rasch ihre Schwingen. »Siehst du, du hast meine Hand geschüttelt. Deine Hand war ein wenig feucht, und sie trägt Enzyme, Fette, Mikroorganismen. Ich bin allergisch, John.«
    »Ich habe dich verletzt.«
    »Es ist nichts. In einer Stunde wird es weg sein. Aber verstehst du jetzt, warum die Matrosen …? Ich kann nie jemanden berühren. Oder jemanden erlauben, mich zu berühren.«
    Einige Sekunden lang schwieg ich. »Das ist ein Unglück«, sagte ich schließlich. Beim Anblick des Hautausschlags breitete sich ein Übelkeit erregendes Gefühl in mir aus, das sich verdoppelte und verdreifachte, als ich ihre Erklärung hörte.
    Sie faltete ihre Schwingen wieder zusammen, so daß sie wie eine Toga in glatten Falten herabfiel, und richtete sich schwerfällig zu voller Größe auf. »Ich weiß, daß es zu anderen Dingen führt, wenn ein Mann und eine Frau sich berühren. Diese Dinge würden mich umbringen.«
    Meine Übelkeit nahm zu. Ich fühlte mich ein wenig schwach. Ich hatte mich von Dalusa nicht wirklich angezogen gefühlt, als ich sie das erste Mal sah. Aber als ich von ihrer Unerreichbarkeit erfuhr, spürte ich einen plötzlichen Taumel der Begierde.
    »Ich verstehe«, sagte ich.
    »Ich mußte dir das sagen, John, aber ich hoffe, wir werden trotzdem gute Freunde sein.«
    »Dafür sehe ich kein Hindernis«, sagte ich bedächtig.
    Sie lächelte. Dann nahm sie mit ihren rotlackierten Fingernägeln eine Scheibe Fleisch von ihrem Teller und aß genüßlich davon.

4
    Eine seltsame Enthüllung
     
    A M VIEREN T AG UNSERER F AHRT machte ich eine merkwürdige Entdeckung. Es geschah, während ich den Laderaum des Schiffs nach etwas durchsuchte, das meinen einigermaßen anspruchsvollen Gaumen anregen konnte. Ich untersuchte ein Bierfaß mit meinem Seemannsmesser, als die Spitze der Klinge abglitt und mir das Messer aus der Hand flog. Als ich in der Dunkelheit einer Ecke des Laderaums nach ihm suchte, bemerkte ich plötzlich einen haarfeinen Spalt im Schott. Es handelte sich um die Nahtstelle einer getarnten Tür. Meine Neugier war geweckt. Die Tür besaß einen Riegel, den ich schnell fand; und so entdeckte ich, daß die Lunglance eine versteckte Kabine besaß.
    In der engen Nische befanden sich verschiedene Einzelteile eines Motors, vervollständigt durch Batterien, einen Propeller, zwei große Sauerstofftanks und einen Zuber voll Leim. Der Leim war außergewöhnlich zäh. Ich fand mein Messer und tauchte die Klinge hinein. Ich mußte kräftig ziehen, um es wieder herauszubekommen. Ich verschloß den Zuber wieder, schloß die versteckte Tür, ging an Deck und warf das Messer über Bord. Es war unmöglich, den Leim abzubekommen, und es hätte mein Wissen um das Geheimnis verraten.
    Wegen seiner Lage über einem tiefen Loch hat das Staubmeer längere Nächte als Tage. In dieser Nacht hatte ich viel Zeit, über meine Entdeckung herumzurätseln. Vor allem der Propeller verblüffte mich. Diese Geräte werden auf See niemals benutzt, weil sie Staubwolken aufwirbeln.
    In einem war ich sicher: Nur Kapitän Desperandum konnte für die versteckte Nische verantwortlich sein, da nur er die Änderungen hatte anordnen können. Die meisten Walfängerkapitäne standen im Dienst einer Firma an der Küste, aber die Lunglance war im Besitz Desperandums.
    Und damit fanden die Merkwürdigkeiten unseres Kapitäns noch kein Ende. Am nächsten Morgen befahl Desperandum plötzlich, alle Segel zu reffen. Die Lunglance lag still im Staub.
    Desperandum kam aus seiner Kabine und trug mindestens zweihundertfünfzig Pfund hochwertigster Angelschnur. Das Deck ächzte unter seinem Gewicht, denn er selbst wog an die dreihundertsechzig Pfund. Er holte einen Haken von der Größe meines Arms hervor, befestigte einen Klumpen Haifischfleisch

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