Der Stechlin.
wir würden zusammenfahren; und am Brandenburger Tor, mit den großen Kandelabern dazwischen, sah es beinah aus wie ein Bild von Skarbina. Kennen Sie Skarbina?«
»Gewiß«, sagte Melusine, »den kenn’ ich sehr gut. Aber allerdings erst von der letzten Ausstellung her. Und was, außer den Gaslaternen im Nebel, mir so eigentlich von ihm vorschwebt, das ist ein kleines Bild: langer Hotelkorridor, Tür an Tür, und vor einer der vielen Türen ein paar Damenstiefelchen. Reizend. Aber die Hauptsache war doch die Beleuchtung. Von irgendwoher fiel ein Licht ein und vergoldete das Ganze, den Flur und die Stiefelchen.«
»Richtig«, sagte die Baronin. »Das war von ihm. Und gerade das hat Ihnen so sehr gefallen?«
»Ja. Was auch natürlich ist. In meinen italienischen Tagen - wenn ich von ›Italienischen Tagen‹ spreche, so meine ich übrigens nie meine Verheiratungstage; während meiner Verheiratungstage hab’ ich Gott sei Dank so gut wie gar nichts gesehn, kaum meinen Mann, aber freilich immer noch zu viel -, also während meiner italienischen Tage hab’ ich vor so vielen Himmelfahrten gestanden, daß ich jetzt für Stiefeletten im Sonnenschein bin.«
»Ganz mein Fall, liebe Melusine. Freilich bin ich jetzt nebenher auch noch fürs Japanische: Wasser und drei Binsen und ein Storch daneben. In meinen Jahren darf ich ja von Storch sprechen. Früher hätt’ ich vielleicht Kranich gesagt.«
»Nein, Baronin, das glaub’ ich Ihnen nicht. Sie waren immer für das, was sie jetzt Realismus nennen, was meistens mehr Ton und Farbe hat, und dazu gehört auch der Storch. Deshalb lieb’ ich Sie ja gerade so sehr. Ach, daß doch das Natürliche wieder obenauf käme.«
»Kommt, liebe Melusine.«
Melusinens krabbelnder kleiner Finger behielt recht. Es kam wirklich Besuch, erst Wrschowitz, dann aber - statt der drei, die sie noch nebenher gemutmaßt hatte - nur Czako.
Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren hatte vorn im Damenzimmer stattgefunden, ohne Gegenwart des alten Grafen. Dieser erschien erst, als man zum Tee ging; er hieß seine Gäste herzlich willkommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem, was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Dafür sorgte denn auch jeder auf seine Weise: die Baronin durch Mittellungen aus der oberen Gesellschaftssphäre, Czako durch Avancements und Demissionen und Wrschowitz durch »Krittikk«. Alles, was zur Sprache kam, hatte für den alten Grafen so ziemlich den gleichen Wert, aber das Liebste waren ihm doch die Hofnachrichten, die die Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum besten gab. Wendungen wie »ich darf mich wohl Ihrer Diskretion versichert halten« waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, sondern diesen Mut auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezialgeschichte, von der man in der Regel freilich sagen durfte, daß sie desselben auch dringend bedürftig war.
»Sagen Sie, liebe Freundin«, begann der alte Graf, »was wird das jetzt so eigentlich mit den Briefen bei Hofe?«
»Mit den Briefen? Oh, das wird immer schöner.«
»Immer schöner?«
»Nun, immer schöner«, lachte hier die Baronin, »ist vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will sagen den Charme. Schon die beliebte Wendung ›rätselhafte Frau‹ spricht dafür; eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine, womit ich mir persönlich freilich eine Art Todesurteil ausspreche. Denn ich bin alles, nur kein Rätsel. Aber am Ende, man ist, wie man ist, und so muß ich dies Manko zu verwinden suchen… Es heißt immer, ›üble Nachrede, drin man sich mehr oder weniger mit Vorliebe gefalle, sei was Sündhaftes‹. Aber was heißt hier ›üble Nachrede‹? Vielleicht ist das, was uns so bruchstückweise zu Gehör kommt, nur ein schwaches Echo vom Eigentlichen, und bedeutet eher ein Zuwenig als ein Zuviel. Im übrigen, wie’s damit auch sei, mein Sinn ist nun mal auf das Sensationelle gerichtet. Unser Leben verläuft, offen gestanden, etwas durchschnittsmäßig, also langweilig, und weil dem so ist, setz’ ich getrost hinzu: ›Gott sei Dank, daß es Skandale gibt.‹ Freilich für Armgard ist so was nicht gesagt. Die darf es nicht hören.«
»Sie hört es aber doch«, lachte die Komtesse, »und denkt dabei: was es doch für sonderbare Neigungen und Glücke gibt. Ich habe für dergleichen gar kein Organ. Unsre teure Baronin
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