Der Stechlin.
den Augen Ihrer Majestät von Großbritannien und Indien.«
Alles stimmte dem, »daß es wenig sei«, zu. Nur der alte Graf wollte davon nichts wissen.
»Was verlangt ihr? Es ist umgekehrt ein sehr gutes Telegramm, weil ein richtiges Telegramm; Richmond, Windsor, Nelsonsäule. Soll er etwa telegraphieren, daß er sich sehnt, uns wiederzusehn? Und das wird er nicht einmal können, so riesig verwöhnt er jetzt ist. Ihr werdet euch alle sehr zusammennehmen müssen. Auch du, Melusine.«
»Natürlich, ich am meisten.«
Verlobung - Weihnachtsreise nach Stechlin
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Drei Tage später war Woldemar zurück und meldete sich für den nächsten Abend am Kronprinzenufer an. Er traf nur die beiden Damen, die, Melusine voran, kein Hehl aus ihrer Freude machten. »Papa läßt Ihnen sein Bedauern aussprechen, Sie nicht gleich heute mitbegrüßen zu können. Er ist bei den Berchtesgadens zur Spielpartie, bei der er natürlich nicht fehlen durfte. Das ist ›Dienst‹, weit strenger als der Ihrige. Wir haben Sie nun ganz allein, und das ist auch etwas Gutes. An Besuch ist kaum zu denken; Rex war erst gestern auf eine kurze Visite hier, etwas steif und formell wie gewöhnlich, und mit Ihrem Freunde Czako haben wir letzten Sonnabend eine Stunde verplaudern können. Wrschowitz war an demselben Abend auch da; beide treffen sich jetzt öfter und vertragen sich besser, als ich bei Beginn der Bekanntschaft dachte. Wer also sollte noch kommen?… Und nun setzen Sie sich, um Ihr Reisefüllhorn über uns auszuschütten; - die Füllhörner, die jetzt Mode sind, sind meist Bonbontüten, und genau so was erwart’ ich auch von Ihnen. Sie sollten mir in einem Briefe von den Engländerinnen schreiben. Aber wer darüber nicht schrieb, das waren Sie, wenn wir uns auch entschließen wollen, Ihr Telegramm für voll anzusehn.« Und dabei lachte Melusine. »Vielleicht haben Sie uns in unsrer Eitelkeit nicht kränken wollen. Aber offen Spiel ist immer das beste. Wovon Sie nicht geschrieben, davon müssen Sie jetzt sprechen. Wie war es drüben? Ich meine mit der Schönheit.«
»Ich habe nichts einzelnes gesehn, was mich frappiert oder gar hingerissen hätte.«
»Nichts einzelnes. Soll das heißen, daß Sie dafür das Ganze beinah bewundert haben, will also sagen, die weibliche Totalität?«
»Fast könnt’ ich dem zustimmen. Ich erinnere mich, daß mir vor Jahr und Tag schon ein Freund einmal sagte, ›in der ganzen Welt fände man, Gott sei Dank, schöne Frauen, aber nur in England seien die Frauen überhaupt schön‹.«
»Und das haben Sie geglaubt?«
»Es liegt eigentlich schlimmer, gnädigste Gräfin. Ich hab’ es nicht geglaubt; aber ich hab’ es, meinem Nichtglauben zum Trotz, nachträglich bestätigt gefunden.«
»Und Sie schaudern nicht vor solcher Übertreibung?«
»Ich kann es nicht, so sehr ich gerade hier eine Verpflichtung dazu fühle…«
»Keine Bestechungen.«
»Ich soll schaudern vor einer Übertreibung«, fuhr Woldemar fort. »Aber Sie werden mir, Frau Gräfin, dies Schaudern vielleicht erlassen, wenn ich Erklärungen abgegeben haben werde. Der Englandschwärmer, den ich da vorhin zitierte, war ein Freund von zugespitzten Sätzen, und zugespitzte Sätze darf man nie wörtlich nehmen. Und am wenigsten auf diesem diffizilen Gebiete. Nirgends in der Welt blühen Schönheiten wie die gelben Butterblumen übers Feld hin; wirkliche Schönheiten sind schließlich immer Seltenheiten. Wären sie nicht selten, so wären sie nicht schön, oder wir fänden es nicht, weil wir einen andern Maßstab hätten. All das steht fest. Aber es gibt doch Durchschnittsvorzüge, die den Typus des Ganzen bestimmen, und diesem Maße nicht geradezu frappierender, aber doch immerhin noch sehr gefälliger Durchschnittsschönheit, dem bin ich drüben begegnet.«
»Ich lass’ es mit dieser Einschränkung gelten, und Sie werden in Papa, mit dem wir oft darüber streiten, einen Anwalt für Ihre Meinung finden. Durchschnittsvorzüge. Zugegeben. Aber was sich darin ausspricht, das beinah Unpersönliche, das Typische…«
Melusine schrak in diesem Augenblick leise zusammen, weil sie draußen die Klingel gehört zu haben glaubte. Wirklich, Jeserich trat ein und meldete: Professor Cujacius. »Um Gottes willen«, entfuhr es der Gräfin, und die kleine Pause benutzend, die ihr noch blieb, flüsterte sie Woldemar zu: »Cujacius… Malerprofessor. Er wird über Kunst sprechen; bitte, widersprechen Sie ihm nicht, er gerät dabei so leicht
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