Der Stechlin.
Phantastika des Malers William Turner, leider nur flüchtig. Er hat die ›drei Männer im feurigen Ofen‹ gemalt. Stupend. Etwas Großartiges schien mir aus seinen Schöpfungen zu sprechen, wenigstens in allem, was das Kolorit angeht.«
»Eine gewisse Großartigkeit«, nahm Cujacius mit lächelnd überlegener Miene wieder das Wort, »ist ihm nicht abzusprechen. Aber aller Wahnsinn wächst sich leicht ins Großartige hinein und düpiert dann regelmäßig die Menge. Mundus vult decipi. Allem vorauf in England. Es gibt nur ein Heil: Umkehr, Rückkehr zur keuschen Linie. Die Koloristen sind das Unglück in der Kunst. Einige wenige waren hervorragend, aber nicht parceque, sondern quoique. Noch heute wird es mir obliegen, in unserm Verein über eben dieses Thema zu sprechen. Gewiß unter Widerspruch, vielleicht auch unter Lärm und Gepolter; denn mit den richtigen Linien in der Kunst sind auch die richtigen Formen in der Gesellschaft verloren gegangen. Aber viel Feind, viel Ehr, und jede Stelle verlangt heutzutage ihren Mann von Worms, ihren Luther. ›Hier stehe ich.‹ Am elendesten aber sind die paktierenwollenden Halben. Zwischen schön und häßlich ist nicht zu paktieren.«
»Und schön und häßlich«, unterbrach hier Melusine (froh, überhaupt unterbrechen zu können), »war auch die große Frage, die wir, als wir Sie begrüßen durften, eben unter Diskussion stellten. Herr von Stechlin sollte beichten über die Schönheit der Engländerinnen. Und nun frag’ ich Sie , Herr Professor, finden auch Sie sie so schön, wie einem hierlandes immer versichert wird?«
»Ich spreche nicht gern über Engländerinnen«, fuhr Cujacius fort. »Etwas von Idiosynkrasie beherrscht mich da. Diese Töchter Albions, sie singen so viel und musizieren so viel und malen so viel. Und haben eigentlich kein Talent.«
»Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen. Bloß das eine: schön oder nicht schön?«
»Schön? Nun denn, ›nein‹. Alles wirkt wie tot. Und was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod selbst ist, ist nicht schön. Im übrigen, ich sehe, daß ich nur noch zehn Minuten habe. Wie gerne wär’ ich an einer Stelle geblieben, wo man so vielem Verständnis und Entgegenkommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir, Ihnen morgen eine Radierung nach einem Bilde des richtigen englischen Millais zu schicken. Dragonerkaserne, Hallesches Tor - ich weiß. Übermorgen lass’ ich die Mappe wieder abholen. Name des Bildes. ›Sir Isumbras‹. Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu verwundern. Nichts hält jetzt aus, und mit nächstem werden wir die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian entzückte noch mit hundert Jahren; wer jetzt fünf Jahre gemalt hat, ist altes Eisen. Gnädigste Gräfin, Komtesse Armgard… Darf ich bitten, mich meinem Gönner, Ihrem Herrn Vater, dem Grafen, angelegentlichst empfehlen zu wollen.«
Woldemar, die Honneurs des Hauses machend, was er bei seiner intimen Stellung durfte, hatte den Professor bis auf den Korridor geleitet und ihm hier den Künstlermantel umgegeben, den er, in unverändertem Schnitt, seit seinen Romtagen trug. Es war ein Radmantel. Dazu ein Kalabreser von Seidenfilz.
»Er ist doch auf seine Weise nicht übel«, sagte Woldemar, als er bei den Damen wieder eintrat. »An einem starken Selbstbewußtsein, dran er wohl leidet, darf man heutzutage nicht Anstoß nehmen, vorausgesetzt, daß die Tatsachen es einigermaßen rechtfertigen.«
»Ein starkes Selbstbewußtsein ist nie gerechtfertigt«, sagte Armgard, »Bismarck vielleicht ausgenommen. Das heißt also in jedem Jahrhundert einer.«
»Wonach Cujacius günstigstenfalls der zweite wäre«, lachte Woldemar. »Wie steht es eigentlich mit ihm? Ich habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel besagen will, namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich verwechselt habe. Nun geht alles so in einem hin. Ist er ein Mann, den ich eigentlich kennen müßte?«
»Das hängt ganz davon ab«, sagte Melusine, »wie Sie sich einschätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen, sondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Ostelbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunst und Christentum ein übriges zu leisten, so müssen Sie Cujacius freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; ist übrigens lange nicht der Schlimmste. Selbst seine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und
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