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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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hatten, was sie suchten, legten sie den König auf dichtes Baumgezweig und trugen ihn den weiten Weg bis nach Waltham-Abbey zurück. Und da begruben sie ihn.«
    »Und die Stätte, wo sie ihn begruben, die haben Sie besucht?«
    »Nein, nicht sein Grab; das existiert nicht. Man weiß nur, daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als ich da, die Sonne ging eben unter, in einem uralten Lindengange stand, zwischen Grabsteinen links und rechts, und das Abendläuten von der Kirche her begann, da war es mir, als käme wieder der Zug mit den Mönchen den Lindengang herauf, und ich sah Editha und sah auch den König, trotzdem ihn die Zweige halb verdeckten. Und dabei (wenn auch eigentlich der Papa schuld ist und nicht Sie, Gräfin) gedacht’ ich Ihrer in alter und neuer Dankbarkeit.«
    »Und daß Sie mich besiegt haben. Aber das sage nur ich. Sie sagen es natürlich nicht, denn Sie sind nicht der Mann, sich eines Sieges zu rühmen, noch dazu über eine Frau. Waltham-Abbey kenn’ ich nun, und an Ihre Phantasie glaub’ ich von heut’ an, trotzdem Sie mich mit Traitors-Gate im Stiche gelassen. Daß Sie nebenher noch, und zwar Armgard zu Ehren, in Martins le Grand waren, dessen bin ich sicher und ebenso, daß Sie Papas einzige Forderung erfüllt und der Kapelle Heinrichs VII. Ihren Besuch gemacht haben, diesem Wunderwerk der Tudors. Welchen Eindruck hatten Sie von der Kapelle?«
    »Den denkbar großartigsten. Ich weiß, daß man die herabhängenden Trichter, die sie ›Tromben‹ nennen, unschön gefunden hat, aber ästhetische Vorschriften existieren für mich nicht. Was auf mich wirkt, wirkt. Ich konnte mich nicht satt sehen daran. Trotzdem, das Eigentlichste war doch noch wieder ein andres und kam erst, als ich da zwischen den Sarkophagen der beiden feindlichen Königinnen stand. Ich wüßte nicht, daß etwas je so beweglich und eindringlich zu mir gepredigt hätte wie gerade diese Stelle.«
    »Und was war es, was Sie da so bewegte?«
    »Das Gefühl: ›zwischen diesen beiden Gegensätzen pendelt die Weltgeschichte.‹ Zunächst freilich scheinen wir da nur den Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus zu haben, aber weit darüber hinaus (weil nicht an Ort und Zeit gebunden) haben wir bei tiefergehender Betrachtung den Gegensatz von Leidenschaft und Berechnung, von Schönheit und Klugheit. Und das ist der Grund, warum das Interesse daran nicht ausstirbt. Es sind große Typen, diese feindlichen Königinnen.«
    Beide Schwestern schwiegen. Dann sagte Melusine, der daran lag, wieder ins Heitere hinüber zu lenken: »Und nun, Armgard, sage, für welche von den beiden Königinnen bist du?«
    »Nicht für die eine und nicht für die andre. Nicht einmal für beide. Gewiß sind es Typen. Aber es gibt andre, die mir mehr bedeuten, und, um es kurz zu sagen, Elisabeth von Thüringen ist mir lieber als Elisabeth von England. Andern leben und der Armut das Brot geben - darin allein ruht das Glück. Ich möchte, daß ich mir das erringen könnte. Aber man erringt sich nichts. Alles ist Gnade.«
    »Du bist ein Kind«, sagte Melusine, während sie sich mühte, ihrer Bewegung Herr zu werden. »Du wirst noch Unter den Linden für Geld gezeigt werden. Auf der einen Seite ›die Mädchen von Dahomey‹, auf der andern du.«
    Stechlin ging. Armgard gab ihm das Geleit bis auf den Korridor. Es war eine Verlegenheit zwischen beiden, und Woldemar fühlte, daß er etwas sagen müsse. »Welche liebenswürdige Schwester Sie haben.«
    Armgard errötete. »Sie werden mich eifersüchtig machen.«
    »Wirklich, Komtesse?«
    »Vielleicht… Gute Nacht.«
    Eine halbe Stunde später saß Melusine neben dem Bett der Schwester, und beide plauderten noch. Aber Armgard war einsilbig, und Melusine bemerkte wohl, daß die Schwester etwas auf dem Herzen habe.
    »Was hast du, Armgard? Du bist so zerstreut, so wie abwesend.«
    »Ich weiß es nicht, aber ich glaube fast…«
    »Nun was?«
    »Ich glaube fast, ich bin verlobt.«

Sechsundzwanzigstes Kapitel
    Und was die jüngere Schwester der älteren zugeflüstert hatte, das wurde wahr, und schon wenige Tage nach diesem ersten Wiedersehn waren Armgard und Woldemar Verlobte. Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, den er seit lange gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer Herzlichkeit, als ob sie selber die Glückliche wäre.
    »Du gönnst ihn mir doch?«
    »Ach, meine liebe Armgard«, sagte Melusine, »wenn du wüßtest! Ich habe nur die Freude, du hast auch die Last.«
    An demselben Abende noch,

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