Der Stechlin.
›mein Mann‹, immer nur bei seinem Familiennamen) hat mir von Ihrem Unwohlsein erzählt und mir Empfehlungen aufgetragen. Ich hoffe, es geht besser.«
Dubslav dankte für so viel Freundlichkeit und bat, das um ihn her herrschende Übermaß von Unordnung entschuldigen zu wollen. »Wo die weibliche Hand fehlt, fehlt alles.« Er fuhr so noch eine Weile fort, in allerlei Worten und Wendungen, wie sie ihm von alter Zeit her geläufig waren; eigentlich aber war er wenig bei dem, was er sagte, sondern hing ausschließlich an dem halb Nonnen-, halb Heiligenbildartigen ihrer Erscheinung, das durch einen großen, aus mattweißen Kugeln bestehenden Halsschmuck samt Elfenbeinkreuz noch gesteigert wurde. Sie mußte jedem, auch dem Kritischsten, auffallen, und Dubslav, der - so sehr er dagegen ankämpfte - ganz unter der Vorstellung ihrer Prinzessinnenschaft stand, vergaß auf Augenblicke Krankheit und Alter und fühlte sich nur noch als Ritter seiner Dame. Daß sie stehen blieb, war ihm im ersten Augenblicke störend, bald aber war es ihm recht, weil ihm einleuchtete, daß ihr »Bild« erst dadurch zu voller Wirkung kam. Ermyntrud selbst war sich dessen auch voll bewußt und Frau genug, auf diese Vorzüge nicht ohne Not zu verzichten.
»Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als Arzt sehr schätzen gelernt habe, seine Kranken, während er in Pfäffers ist, einem jungen Stellvertreter anvertraut hat. Junge Ärzte sind meist klüger als die alten, aber doch weniger Ärzte. Man bringt außerdem dem Alter mehr Vertrauen entgegen. Alte Doktoren sind wie Beichtiger, vor denen man sich gern offenbart. Freilich können sie den geistlichen Zuspruch nicht voll ersetzen, der in jeder ernstlichen Krankheit doch das eigentlich Heilsame bleibt. Ärzte selbst - ich hab’ einen Teil meiner Jugend in einem Diakonissenhause verbracht -, Ärzte selbst, wenn sie ihren Beruf recht verstehen, urteilen in diesem Sinne. Sogenannte Medikamente sind und bleiben ein armer Notbehelf; alle wahre Hilfe fließt aus dem Wort. Aber freilich, das richtige Wort wird nicht überall gesprochen.«
Dubslav sah etwas unruhig um sich her. Es war ganz klar, daß die Prinzessin gekommen war, seine Seele zu retten. Aber woher kam ihr die Wissenschaft, daß seine Seele dessen bedürftig sei? Das verlohnte sich doch in Erfahrung zu bringen, und so bezwang er sich denn und sagte: »Gewiß, Durchlaucht, das Wort ist die Hauptsache. Das Wort ist das Wunder; es läßt uns lachen und weinen; es erhebt uns und demütigt uns, es macht uns krank und macht uns gesund. Ja, es gibt uns erst das wahre Leben hier und dort. Und dies letzte höchste Wort, das haben wir in der Bibel. Daher nehm’ ich’s. Und wenn ich manches Wort nicht verstehe, wie wir die Sterne nicht verstehn, so haben wir dafür die Deuter.«
»Gewiß. Aber es gibt der Deutet so viele.«
»Ja«, lachte Dubslav, »und wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber ich persönlich, ich habe keine Wahl. Denn genauso wie mit dem Körper, so steht es für mich auch mit der Seele. Man behilft sich mit dem, was man hat. Nehm’ ich da zunächst meinen armen, elenden Leib. Da sitzt es mir hier und steigt und drückt und quält mich und ängstigt mich, und wenn die Angst groß ist, dann nehm’ ich die grünen Tropfen. Und wenn es mich immer mehr quält, dann schick’ ich nach Gransee hinein, und dann kommt Sponholz. Das heißt; wenn er gerade da ist. Ja, dieser Sponholz ist auch ein Wissender und ein ›Deuter‹. Sehr wahrscheinlich, daß es klügere und bessere gibt; aber in Ermangelung dieser besseren muß er für mich ausreichen.«
Ermyntrud nickte freundlich und schien ihre Zustimmung ausdrücken zu wollen.
»Und«, fuhr Dubslav fort, »ich muß es wiederholen, genauso wie mit dem Leib, so auch mit der Seele. Wenn sich meine arme Seele ängstigt, dann nehm’ ich mir Trost und Hilfe, so gut ich sie gerade finden kann. Und dabei denk’ ich dann, der nächste Trost ist der beste. Den hat man am schnellsten, und wer schnell gibt, der gibt doppelt. Eigentlich muß man es lateinisch sagen. Ich rufe mir Sponholz, weil ich ihn, wenn benötigt, in ziemlicher Nähe habe; den andern aber, den Arzt für die Seele, den hab’ ich glücklicherweise noch näher und brauche nicht mal nach Gransee hineinzuschicken. Alle Worte, die von Herzen kommen, sind gute Worte, und wenn sie mir helfen (und sie helfen mir), so frag’ ich nicht viel danach, ob es sogenannte ›richtige‹ Worte sind oder nicht.«
Ermyntrud richtete sich höher
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