Der Stechlin.
Isidor schuld ist - mit einem Mal ist der Pferdefuß rausgekommen.«
»Ja«, lachte Koseleger, »der kommt immer mal raus. Und nicht bloß bei Baruch. Ich muß aber sagen, das alles hat mit der Rasse viel, viel weniger zu schaffen als mit dem jeweiligen Beruf. Da war ich eben bei der Frau von Gundermann…«
»Und da war auch so was?«
»In gewissem Sinne, ja. Natürlich ein bißchen anders, weil es sich um etwas Weibliches handelt. ›Stütze der Hausfrau‹. Und da bändelt sich denn leicht was an. Eben diese ›Stütze der Hausfrau‹ war bis vor kurzem noch Erzieherin, und mit Erzieherinnen, alten und jungen, hat’s immer einen Haken, wie mit den Lehrern überhaupt. Es liegt im Beruf. Und der Seminarist steht obenan.«
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Dubslav, »in unserer Gegend irgendwas gröblich Verletzliches erlebt zu haben.«
»Oh, ich bin mißverstanden«, beschwichtigte Koseleger und rieb sich mit einem gewissen Behagen seine wohlgepflegten Hände. »Nichts von Vergehungen auf erotischem Gebiet, wiewohl es bei den Gundermanns (die gerad in diesem Punkte viel heimgesucht werden) auch diesmal wieder, ich möchte sagen diese kleine Nebenform angenommen hatte. Nein, der große Seminaristenpferdefuß, an den ich bei meiner ersten Bemerkung dachte, trägt ganz andere Signaturen: Unbotmäßigkeit, Überschätzung und infolge davon ein eigentümliches Bestreben, sich von den Heilsgütern loszulösen und die Befriedigung des inneren Menschen in einer falschen Wissenschaftlichkeit zu suchen.«
»Ich will das nicht loben; aber auch solche ›falsche Wissenschaftlichkeit‹ zählt, dächt’ ich, in unserer alten Grafschaft zu den allerseltensten Ausnahmen.«
»Nicht so sehr, als Sie vermuten, Herr Major, und aus Ihrer eigenen Stechliner Schule sind mir Klagen kirchlich gerichteter Eltern über solche Dinge zugegangen. Allerdings Altlutheraner aus der Globsower Gegend. Indessen so lästig diese Leute zuzeiten sind, so haben sie doch andrerseits den Ernst des Glaubens und finden, wie sie sich in einem Skriptum an mich ausgedrückt haben, in der Krippenstapelschen Lehrmethode diesen Ernst des Glaubens arg vernachlässigt.«
Dubslav wiegte den Kopf hin und her und hätte trotz allen Respekts vor dem Vertreter einer kirchlichen Behörde wahrscheinlich ziemlich scharf und spitz geantwortet, wenn ihm nicht alles, was er da hörte, gleichzeitig in einem heiteren Licht erschienen wäre. Krippenstapel, sein Krippenstapel, er, der den Alten Fritzen so gut wie den Katechismus, aber den Katechismus auch reichlich so gut wie den Alten Fritzen kannte, - Krippenstapel, sein großartiger Bienenvater, sein korrespondierendes Mitglied märkisch-historischer Vereine, die Seele seines »Museums«, sein guter Freund, dieser Krippenstapel sollte den »Ernst des Glaubens« verkannt haben, bei ihm sollte der Seminaristenhochmut zu gemeingefährlichem Ausbruch gekommen sein. Wohl entsann er sich, in eigenster Person (was ihn in diesem Augenblick ein wenig verstimmte) gelegentlich sehr Ähnliches gesagt zu haben. Aber doch immer nur scherzhaft. Und wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht mehr dasselbe. Traf dieser Satz je zu, so hier. Er erhob sich also mit einiger Anstrengung von seinem Platz, ging auf Koseleger zu, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Herr Superintendent, so wie Sie’s da sagen, so kann es nicht sein. Von richtigen Altlutheranern gibt es hier überhaupt nichts, und am wenigsten in Globsow; die glauben sozusagen gar nichts. Ich wittere da was von Intrigue. Da stecken andere dahinter. Bei meinem alten Baruch ist der Pferdefuß rausgekommen, aber bei meinem alten Krippenstapel ist er nicht rausgekommen und wird auch nicht rauskommen, weil er überhaupt nicht da ist. Meinen alten Krippenstapel, den kenn’ ich.«
Koseleger, Weltmann, wie er war, lenkte rasch ein, sprach von Konventiklerbeschränktheit und gab die Möglichkeit einer Intrigue zu.
»Natürlich wird es einem schwer, in diesem Erdenwinkel an derlei Dinge zu glauben, denn ›Intrigue‹ zählt ganz eminent zu den höheren Kulturformen. Intrigue hat hier in unserer alten Grafschaft, glaub’ ich, noch keinen Boden. Aber andrerseits ist es doch freilich wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, ja selbst die Verbrechen und Laster, nicht bloß im Gefolge der Kultur auftreten, sondern umgekehrt ihr voranschreiten, als beklagenswerte Herolde falscher Gesittung! Bedenken Sie, was wir neuerdings in unsern Äquatorialprovinzen erlebt haben. Die
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