Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
Vom Netzwerk:
Politik - nur über Gundermann fiel gelegentlich eine spöttische Bemerkung - war längst keine Rede mehr, statt dessen befleißigte man sich, die neuesten Klatschgeschichten aus der Grafschaft heranzuziehen. »Ist es denn wahr«, sagte Kraatz, »daß die schöne Lilli nun doch ihren Vetter heiraten wird, oder richtiger, der Vetter die schöne Lilli?«
    »Vetter?« fragte Peerenboom.
    »Ach, Peerenboom, Sie wissen auch gar nichts; Sie sitzen immer noch zwischen Ihren Delfter Kacheln und waren doch schon ‘ne ganze Weile hier, als die Lilligeschichte spielte.«
    Peerenboom ließ sich’s gesagt sein und begrub jede weitere Frage, was er, ohne sich zu schädigen, auch ganz gut konnte, da kein Zweifel war, daß der, der das Lillithema heraufbeschworen, über kurz oder lang ohnehin alles klarlegen würde. Das geschah denn auch.
    »Ja, diese verdammten Kerle«, fuhr von Kraatz fort, »diese Lehrer! Entschuldigen Sie, Luckhardt, aber Sie sind ja beim Gymnasium, da liegt alles anders, und der , der hier ‘ne Rolle spielt, war ja natürlich bloß ein Hauslehrer, Hauslehrer bei Lillis jüngstem Bruder. Und eines Tages waren beide weg, der Kandidat und Lilli. Selbstverständlich nach England. Es kann einer noch so dumm sein, aber von Gretna Green hat er doch mal gehört oder gelesen. Und da wollten sie denn auch beide hin. Und sind auch. Aber ich glaube, der Gretna Greensche darf nicht mehr trauen. Und so nahmen sie denn Lodgings in London, ganz ohne Trauung. Und es ging auch so, bis ihnen das kleine Geld ausging.«
    »Ja, das kennt man.«
    »Und da kamen sie denn also wieder. Das heißt, Lilli kam wieder. Und sie war auch schon vorher mit dem Vetter so gut wie verlobt gewesen.«
    »Und der sprang nu ab?«
    »Nicht so ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn Lilli ist sehr hübsch und nebenher auch noch sehr reich. Und da soll denn der Vetter gesagt haben, er liebe sie so sehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch. Und er halte auch eine Entsühnung für durchaus möglich. Ja, er soll dabei von Purgatorium gesprochen haben.«
    »Mißfällt mir, klingt schlecht«, sagte Molchow. »Aber was er vorher gesagt, ›Entsühnung‹, das ist ein schönes Wort und eine schöne Sache. Nur das ›Wie‹ - ach, man weiß immer so wenig von diesen Dingen - will mir nicht recht einleuchten. Als Christ weiß ich natürlich (so schlimm steht es am Ende auch nicht mit einem), als Christ weiß ich, daß es eine Sühne gibt. Aber in solchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie, was sagen Sie dazu? Sie sind ein Mann von Fach und haben alle Kirchenväter gelesen und noch ein paar mehr.«
    Thormeyer verklärte sich. Das war so recht ein Thema nach seinem Geschmack; seine Augen wurden größer und sein glattes Gesicht noch glatter.
    »Ja«, sagte er, während er sich über den Tisch zu Molchow vorbeugte, »so was gibt es. Und es ist ein Glück, daß es so was gibt. Denn die arme Menschheit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich vermeiden, einmal, weil sich mein protestantisches Gewissen dagegen sträubt, und dann auch wegen des Anklangs; aber es gibt eine Purifikation. Und das ist doch eigentlich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherstellung. Ein etwas schwerfälliges Wort. Indessen die Sache, drum sich’s hier handelt, gibt es doch gut wieder. Sie begegnen diesem Hange nach Restitution überall, und namentlich im Orient - aus dem doch unsre ganze Kultur stammt - finden Sie diese Lehre, dieses Dogma, diese Tatsache.«
    »Ja, ist es eine Tatsache?«
    »Schwer zu sagen. Aber es wird als Tatsache genommen. Und das ist ebenso gut. Blut sühnt .«
    »Blut sühnt«, wiederholte Molchow. »Gewiß. Daher haben wir ja auch unsere Duellinstitution. Aber wo wollen Sie hier die Blutsühne hernehmen? In diesem Spezialfalle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer ist drüben in England geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika gegangen ist. Und wenn er auch wiederkäme, er ist nicht satisfaktionsfähig. Wär’ er Reserveoffizier, so hätt’ ich das längst erfahren…«
    »Ja, Herr von Molchow, das ist die hiesige Anschauung. Etwas primitiv, naturwüchsig, das sogenannte Blutracheprinzip. Aber es braucht nicht immer das Blut des Übeltäters selbst zu sein. Bei den Orientalen…«
    »Ach, Orientalen… dolle Gesellschaft…«
    »Nun denn meinetwegen, bei fast allen Völkern des Ostens sühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach orientalischer Anschauung - ich kann das Wort nicht vermeiden, Herr von Molchow, ich muß immer wieder darauf zurückkommen - nach

Weitere Kostenlose Bücher