Der Stechlin.
großes Präbendenkreuz ziere nicht bloß ihn, sondern den ganzen Tisch. Einige sprächen freilich immer von seinem Götzengesicht und seiner Häßlichkeit, aber auch das schade nichts. Heutzutage, wo die meisten Menschen einen Friseurkopf hätten, sei es eine ordentliche Erquickung, einem Gesicht zu begegnen, das in seiner Eigenart eigentlich gar nicht unterzubringen sei. Dieser von dem alten Zühlen, trotz seiner Vorliebe für Dubslav, eindringlich gehaltenen Rede war allgemein zugestimmt worden, und Baron Beetz hatte den götzenhaften Alten-Friesacker an seinen Ehrenplatz geführt. Natürlich gab es auch Schandmäuler. An ihrer Spitze stand Molchow, der dem neben ihm sitzenden Katzler zuflüsterte: »Wahres Glück, Katzler, daß der Alte drüben die Blumenvase vor sich hat; sonst, so bei veau en tortue - vorausgesetzt, daß so was Feines überhaupt in Sicht steht -, würd’ ich der Sache nicht gewachsen sein.«
Und nun schwieg der von einem Thormeyerschen Unterlehrer gespielte Tannhäusermarsch, und als eine bestimmte Zeit danach der Moment für den ersten Toast da war, erhob sich Baron Beetz und sagte: »Meine Herren. Unser Edler Herr von Alten-Friesack ist von der Pflicht und dem Wunsch erfüllt, den Toast auf Seine Majestät den Kaiser und König auszubringen.« Und während der Alte, das Gesagte bestätigend, mit seinem Glase grüßte, setzte der in seiner alter-ego-Rolle verbleibende Baron Beetz hinzu: »Seine Majestät der Kaiser und König lebe hoch!« Der Alten-Friesacker gab auch hierzu durch Nicken seine Zustimmung, und während der junge Lehrer abermals auf den auf einer Rheinsberger Schloßauktion erstandenen alten Flügel zueilte, stimmte man an der Tafel hin das »Heil dir im Siegerkranz« an, dessen erster Vers stehend gesungen wurde.
Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine gewisse Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an nicht gefehlt hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht treten. Allerdings war noch immer ein wichtiger und zugleich schwieriger Toast in Sicht, der , der sich mit Dubslav und dem unglücklichen Wahlausgange zu beschäftigen hatte. Wer sollte den ausbringen? Man hing dieser Frage mit einiger Sorge nach und war eigentlich froh, als es mit einem Male hieß, Gundermann werde sprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener nicht ernsthaft zu nehmen sei, ja, daß Sonderbarkeiten und vielleicht sogar Scheiterungen in Sicht stünden, aber man tröstete sich, je mehr er scheitere, desto besser. Die meisten waren bereits in erheblicher Aufregung, also sehr unkritisch. Eine kleine Weile verging noch. Dann bat Baron Beetz, dem die Rolle des Festordners zugefallen war, für Herrn von Gundermann auf Siebenmühlen ums Wort. Einige sprachen ungeniert weiter. »Ruhe, Ruhe!« riefen andre dazwischen, und als Baron Beetz noch einmal an das Glas geklopft und nun, auch seinerseits um Ruhe bittend, eine leidliche Stille hergestellt hatte, trat Gundermann hinter seinen Stuhl und begann, während er mit affektierter Nonchalance seine Linke in die Hosentasche steckte:
»Meine Herren. Als ich vor soundso viel Jahren in Berlin studierte« (»na nu«), »als ich vor Jahren in Berlin studierte, war da mal ‘ne Hinrichtung…«
»Alle Wetter, der setzt gut ein.«
»… war da mal ‘ne Hinrichtung, weil eine dicke Klempnermadamm, nachdem sie sich in ihren Lehrburschen verliebt, ihren Mann, einen würdigen Klempnermeister, vergiftet hatte. Und der Bengel war erst siebzehn. Ja, meine Herren, so viel muß ich sagen, es kamen damals auch schon dolle Geschichten vor. Und ich, weil ich den Gefängnisdirektor kannte, ich hatte Zutritt zu der Hinrichtung, und um mich rum standen lauter Assessoren und Referendare, ganz junge Herren, die meisten mit ‘nem Kneifer. Kneifer gab es damals auch schon. Und nun kam die Witwe, wenn man sie so nennen darf, und sah soweit ganz behäbig und beinahe füllig aus, weil sie, was damals viel besprochen wurde, ‘nen Kropf hatte, weshalb auch der Block ganz besonders hatte hergerichtet werden müssen. Sozusagen mit ‘nem Ausschnitt.«
»Mit ‘nem Ausschnitt…; gut, Gundermann.«
»Und als sie nun, ich meine die Delinquentin, all die jungen Referendare sah, wobei ihr wohl ihr Lehrling einfallen mochte…«
»Keine Verspottung unsrer Referendare…«
»… Wobei ihr vielleicht ihr Lehrling einfallen mochte, da trat sie ganz nahe an den Schafottrand heran und nickte uns zu (ich sage ›uns‹, weil sie mich auch ansah) und sagte: ›Ja, ja, meine
Weitere Kostenlose Bücher