Der Stechlin.
hatte, das Wort, »nennen Sie’s, wie Sie wollen, solidarisch oder nicht; das eine sagt nichts, und das andre sagt auch nichts. Aber mit Ihrem Wort über Rheinsberg, da haben Sie’s freilich getroffen. Aufmuckung war hier immer zu Hause, von Anfang an. Erst frondierte Fritz gegen seinen Vater, dann frondierte Heinrich gegen seinen Bruder, und zuletzt frondierte August, unser alter forscher Prinz August, den manche von uns ja noch gut gekannt haben, ich sage: frondierte unser alter August gegen die Moral. Und das war natürlich das Schlimmste. (Zustimmung und Heiterkeit.) Und bestraft sich zuletzt auch immer. Denn wissen Sie denn, meine Herren, wie’s mit Augusten schließlich ging, als er durchaus in den Himmel wollte?«
»Nein. Wie war es denn, Molchow?«
»Ja, er mußte da wohl ‘ne halbe Stunde warten, und als er nu mit ‘nem Anschnauzer gegen Petrus rausfahren wollte, da sagte ihm der Fels der Kirche: ›Königliche Hoheit, halten zu Gnaden, aber es ging nicht anders.‹ Und warum nicht? Er hatte die elftausend Jungfrauen erst in Sicherheit bringen müssen.«
»Stimmt, stimmt«, sagte Kraatz. »So war der Alte. Der reine Deubelskerl. Aber schneidig. Und ein richtiger Prinz. Und dann, meine Herren - ja, du mein Gott, wenn man nu mal Prinz is, irgendwas muß man doch von der Sache haben… Und so viel weiß ich, wenn ich Prinz wäre…«
Zwanzigstes Kapitel
Um sechs stand das Wahlresultat so gut wie fest; einige Meldungen fehlten noch, aber das war aus Ortschaften, die mit ihren paar Stimmen nichts mehr ändern konnten. Es lag zutage, daß die Sozialdemokraten einen beinahe glänzenden Sieg davongetragen hatten; der alte Stechlin stand weit zurück, Fortschrittler Katzenstein aus Gransee noch weiter. Im ganzen aber ließen beide besiegte Parteien dies ruhig über sich ergehen; bei den Freisinnigen war wenig, bei den Konservativen gar nichts von Verstimmung zu merken. Dubslav nahm es ganz von der heiteren Seite, seine Parteigenossen noch mehr, von denen eigentlich ein jeder dachte: »Siegen ist gut, aber Zu-Tische-Gehen ist noch besser.« Und in der Tat, gegessen mußte werden. Alles sehnte sich danach, bei Forellen und einem guten Chablis die langweilige Prozedur zu vergessen. Und war man erst mit den Forellen fertig und dämmerte der Rehrücken am Horizont herauf, so war auch der Sekt in Sicht. Im »Prinzregenten« hielt man auf eine gute Marke.
Durch den oberen Saal hin zog sich die Tafel: der Mehrzahl nach Rittergutsbesitzer und Domänenpächter, aber auch Gerichtsräte, die so glücklich waren, den »Hauptmann in der Reserve« mit auf ihre Karte setzen zu können. Zu diesem gros d’armée gesellten sich Forst- und Steuerbeamte, Rentmeister, Prediger und Gymnasiallehrer. An der Spitze dieser stand Rektor Thormeyer aus Rheinsberg, der große vorstehende Augen, ein mächtiges Doppelkinn, noch mächtiger als Koseleger, und außerdem ein Renommee wegen seiner Geschichten hatte. Daß er nebenher auch ein in der Wolle gefärbter Konservativer war, versteht sich von selbst. Er hatte, was aber schon Jahrzehnte zurücklag, den großartigen Gedanken gefaßt und verwirklicht: die ostelbischen Provinzen, da, wo sie strauchelten, durch Gustav Kühnsche Bilderbogen auf den richtigen Pfad zurückzuführen, und war dafür dekoriert worden. Es hieß denn auch von ihm, »er gelte was nach oben hin«, was aber nicht recht zutraf. Man kannte ihn »oben« ganz gut.
Um halb sieben (Lichter und Kronleuchter brannten bereits) war man unter den Klängen des Tannhäusermarsches die hie und da schon ausgelaufene Treppe hinaufgestiegen. Unmittelbar vorher hatte noch ein Schwanken wegen des Präsidiums bei Tafel stattgefunden. Einige waren für Dubslav gewesen, weil man sich von ihm etwas Anregendes versprach, auch speziell mit Rücksicht auf die Situation. Aber die Majorität hatte doch schließlich Dubslavs Vorsitz als ganz undenkbar abgelehnt, da der Edle Herr von Alten-Friesack, trotz seiner hohen Jahre, mit zur Wahl gekommen war; der Edle Herr von Alten-Friesack, so hieß es, sei doch nun mal - und von einem gewissen Standpunkt aus auch mit Fug und Recht - der Stolz der Grafschaft, überhaupt ein Unikum, und ob er nun sprechen könne oder nicht, das sei, wo sich’s um eine Prinzipienfrage handle, durchaus gleichgültig. Überhaupt, die ganze Geschichte mit dem »Sprechenkönnen« sei ein moderner Unsinn. Die einfache Tatsache, daß der Alte von Alten-Friesack dasäße, sei viel, viel wichtiger als eine Rede, und sein
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