Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
Gähnen.
Die Diener kehrten nach dem Zeitabschnitt zurück, der für das Weintrinken vorgesehen war, um den Krug, die Schale mit Schnee und die leeren Teller abzuräumen.
Nun war der Augenblick gekommen, sich dem eigentlichen Thema zuzuwenden. Lord Mabreton wurde wieder wach. Der Schild winkte seinen Sekretär heran, der näher gekommen war, als die Diener den Wein abräumten. Er reichte dem Schild zwei Schriftrollen, eine mit einem dunkelgrünen, die andere mit einem helleren grünen Band gebunden. Die mit dem dunkelgrünen Band ging an Lord Mabreton, den Wächter, die andere an Silwyth, den Geringeren Wächter.
Beide Männer entrollten ihre Botschaften und lasen die Befehle, die der Göttliche persönlich niedergeschrieben hatte. Die Befehle waren in Gedichtform ausgedrückt, ihr Inhalt irgendwo zwischen den kunstvoll blütenreichen Formulierungen verborgen. Silwyth tat so, als lese er das Dokument mit höflicher Aufmerksamkeit. Die wahren Befehle würde er vom Schild erhalten.
Dann blickte Silwyth wieder auf. Der Schild starrte in die Zedern, die Stirn nachdenklich und konzentriert gerunzelt. Der Schild war nun hundertfünfzig Jahre alt, im besten Alter für einen Elf. Er war als mutiger und leidenschaftlicher Kämpfer bekannt, ungemein ehrgeizig und entschlossen, seine bereits erworbene Macht zu behalten und zu vergrößern. Seit etwa einem Jahr gab es Gerüchte, der Göttliche neide dem Schild seine Macht, die – weil der Schild über eine mächtige Armee gebot – größer war als die des Göttlichen selbst. Der Göttliche setzte alles daran, Verbündete in anderen Häusern zu finden, und intrigierte vielleicht sogar mit dem Ziel, den Schild zu unterwerfen und einen anderen auf diesen Posten zu setzen, dessen Loyalität er sich sicherer sein konnte.
Der Schild musterte nun Silwyth nachdenklich, und der Geringere Wächter erwiderte diesen Blick ohne Zögern. Ebenso, wie es einen richtigen Zeitpunkt für Demut gab, gab es auch Zeiten, in denen man seine innere Kraft offenbaren musste. Der Schild schien zufrieden mit dem, was er sah, denn er nickte kaum merklich.
»Lord Mabreton«, sagte der Schild und wandte sich ab. »Unser Aller Herr« – dies sprach er mit einem leichten Verziehen der Oberlippe aus – »befiehlt Euch, nach Vinnengael zu reisen, in die Königsstadt der Menschen, und dort Eure Stellung als Botschafter anzutreten.«
Lord Mabreton verlieh seiner Freude, seiner Dankbarkeit und seinem Willen Ausdruck, einem Befehl zu gehorchen, der ihn offensichtlich nicht überraschte, da er und seine Frau und ihr Gefolge sich bereits auf dieser Reise befanden.
Der Schild wandte sich Silwyth zu. »Ihr, Geringerer Wächter Silwyth vom Haus Kinnoth, werdet Lord Mabreton begleiten. Ihr habt großes Glück, junger Herr. Man hat Eurer Bitte, in der Großen Bibliothek von König Tamaros studieren zu dürfen, entsprochen.«
Darum war es also in diesem weitschweifigen Gedicht gegangen. Silwyth wäre nie von selbst darauf gekommen, zumal er nie eine solche Bitte an irgendwen gerichtet hatte. Dennoch bekundete auch er nun seine tiefste Dankbarkeit gegenüber dem Schild und Lord Mabreton.
Lord Mabretons Miene war anzusehen, dass er gerade zum ersten Mal davon gehört hatte, dass er und seine Frau einen Reisegefährten haben würden, und noch dazu einen jungen, gut aussehenden. Er wagte es nicht, dem Schild zu widersprechen, aber er war töricht genug, seine Missbilligung nicht zu verhehlen – ein weiterer Fehler. Nachdem diese Angelegenheit nun abgeschlossen war, erhob sich der Schild und entließ damit seine Gäste.
Lord Mabreton und Silwyth verabschiedeten sich und dankten für die Ehre, die man ihnen erwiesen hatte, indem man sie zu einem solch mächtigen Mann vorgelassen hatte. Der Schild fügte seine eigenen Komplimente hinzu. Silwyth zugewandt, senkte er ein wenig die Augenlider und zog eine Braue hoch.
Silwyth und Lord Mabreton gingen rückwärts über die weiß gepflasterte Fläche bis zu den Zedern, wo sie sich nach der angemessenen Anzahl von Schritten umdrehen konnten, ohne den Schild zu beleidigen.
»Ich nehme an, wir werden unsere Reise aufschieben müssen, damit Ihr nach Hause zurückkehren und packen könnt«, waren die ersten ungnädigen Worte aus Lord Mabretons Mund, während sie einem der Diener durch die Gärten folgten.
Silwyth war verärgert; diesen Tonfall hätte der andere gegenüber einem Bauern benutzen dürfen, aber nicht gegenüber einem Adligen. Aber er verbarg seinen Zorn. Lord
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