Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
dem in einem Halbkreis kunstvoll geschnitzte Holzstühle standen. Diese Stühle waren bemalt und dick lackiert, sowohl um der Schönheit willen als auch zum Schutz vor den Elementen. Über Jahrhunderte hatte man die Zedern beschnitten, sodass nun alle Bäume gleich hoch waren; die unteren Äste waren zurückgestutzt worden, sodass die Stämme bis zur selben Höhe kahl waren. Das Grün bildete ein breites Band über den Köpfen, die Stämme und Schatten ein Band von Braun darunter.
Silwyth stand im Schatten der äußersten Zedernreihe und wartete auf ein Zeichen des Schilds. Er musste sich nicht lange gedulden. Kaum hatte der Diener seine Ankunft angekündigt, als der Schild sich auch schon erhob und durch die Zedernreihen seinem Gast entgegenkam – eine gewaltige Ehre.
Silwyth verbeugte sich, eine Hand aufs Herz gedrückt.
Der Schild erwiderte die Geste mit einer Verbeugung, deren gekonnte Berechnung eine höfliche Anerkennung von Silwyths Rang und Stellung und vielleicht auch noch ein wenig mehr andeutete.
»Der Diener sagte mir, unsere Ehrenwerte Ahnfrau, die Lady Amwath, habe Euch eine große Ehre erwiesen, Geringerer Wächter.«
»Obwohl ich dessen nicht würdig bin, Schild des Göttlichen«, erklärte Silwyth demütig, »hat die Lady Anwath, Eure erlauchte Mutter, dennoch meine Anwesenheit zur Kenntnis genommen, und sie schien erfreut über meine zutiefst empfundene Verehrung.«
»Meine liebe Mutter hatte immer ein Auge für gut aussehende junge Männer«, meinte der Schild mit der Andeutung eines Lächelns.
Silwyth war über diese scheinbar respektlose Haltung des Sohnes beträchtlich schockiert, aber dann erinnerte er sich daran, dass die früh verwitwete Lady Amwath tatsächlich für ihre Unabhängigkeit, ihr kluges Interesse an der Politik, ihren ausgeprägten Ehrgeiz und ihre intensive Lebenslust bekannt gewesen war. Ihren Fähigkeiten und ihrem klugen Manövrieren war der Aufstieg ihres Sohnes in die Position des Schilds des Göttlichen zu verdanken, was bedeutete, dass er nun der zweitmächtigste Mann im gesamten Elfenreich war, und es war ein offenes Geheimnis, dass der Schild plante, noch weiter aufzusteigen.
Silwyth wusste allerdings noch immer nicht so recht, was er mit dieser Bemerkung anfangen sollte, und so verbeugte er sich nur abermals und ersparte sich eine Antwort. Er entdeckte, dass noch ein weiterer Mann im Zedernhain saß – Lord Mabreton, der Gemahl von Lady Valura.
Der Schild führte Silwyth in den Hain. Lord Mabreton erhob sich. Der Geringere Wächter verbeugte sich vor dem Wächter, der seinerseits die Verbeugung mit Hochachtung erwiderte. Silwyth war Lord Mabreton bisher nie begegnet; er war nicht Silwyths Lehnsherr, sondern kam aus einem anderen Teil des Reiches. Silwyths Herr, der Wächter, dem er Treue geschworen hatte, war ein gewisser Lord Dunath. Lord Dunath war mit seinen inzwischen beinahe zweihundertfünfundsiebzig Jahren recht betagt. Sein Körper bestand nur noch aus stockartigen Knochen, überzogen von fest gespannter Haut, und er verbrachte beinahe seine gesamte Zeit mit Pinsel und Tinte und mit dem Dichten langer Epen über die Heldentaten seiner Jugend.
Silwyth betrachtete Lord Mabreton mit einer Neugier, die dadurch, dass er gerade die schöne Frau dieses Mannes kennen gelernt hatte, noch gesteigert wurde. Die meisten Elfen schlossen Vernunftehen, die sogar noch vor der Geburt der Betreffenden arrangiert wurden. In vielen Fällen lernten die Eheleute allerdings, einander zu lieben. Silwyth schloss sofort, dass dies bei Lord und Lady Mabreton nicht der Fall war.
Der Lord war gut hundert Jahre älter als seine Frau – sie musste seine zweite oder vielleicht auch dritte Frau sein. Er war hoch gewachsen und kräftig, mit kalten, matten Augen und der Art von Mund, die man nie lachen sieht, es sei denn über das Missgeschick eines anderen. Silwyth nahm an, dass Lord Mabreton unglaublich eifersüchtig über seine Frau wachte, deren Schönheit er zweifellos schätzte wie eine Trophäe. Silwyth fühlte sofort Abneigung gegen diesen Mann in sich aufsteigen.
Der Schild bat die Herren, sich hinzusetzen. Er platzierte Lord Mabreton zu seiner Rechten, Silwyth zu seiner Linken. Zwischen dem Platz des Schildes und den Stühlen seiner Gäste befand sich jeweils ein leerer Stuhl, ein Zeichen des Respekts gegenüber dem abwesenden Lord Dunath.
Die Diener brachten Krüge mit Weißwein, die in Schalen voller Schnee gekühlt worden waren, den man vom Berggipfel
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