Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
Sohn. Sie teilte ihre Zuneigung gleichmäßig zwischen diesen beiden auf und behandelte sie auf dieselbe Weise: Sie überließ sie der Fürsorge anderer und betrachtete sie nur, wenn sie sauber, ordentlich, gefüttert und gebürstet waren und man nicht damit rechnen musste, dass sie nach einem schnappten.
Ihre Anhänger – und die Königin hatte tatsächlich welche, wie jede Person von einiger Macht an einem königlichen Hof Anhänger hat, denn, wie die Elfen immer sagen, es ist durchaus möglich, dass der Wind des Schicksals jahrelang stetig aus ein und derselben Richtung weht und dann innerhalb von einer Nacht umschlägt und dein Haus umbläst –, ihre Anhänger erklärten, es sei kein Wunder, dass sie so gereizt und stets schlechter Laune war. Emillia wusste genau, dass ihr Mann sie nicht liebte. Sie wusste, dass er sie nicht einmal sonderlich mochte. Ihre Ehe war aus politischen Gründen geschlossen worden, und nach dem ständigen Ärger, den ihr Vater – der König des eher unbedeutenderen Landes Dunkarga – immer noch stiftete, mochte es König Tamaros wohl so vorkommen, als hätte er das abgeschlossen, was man gemeinhin einen Orkhandel nannte.
Dagnarus ähnelte seiner Mutter nur, was das dichte rote Haar anging. Er hatte sein gutes Aussehen von der Seite seines Vaters geerbt – tatsächlich war er das Abbild seines Großvaters, wenn man von dem Porträt ausgehen konnte, das von diesem Ahnen angefertigt worden war, als er noch Kronprinz war.
»Püppchen«, sagte die Königin und bot ihrem Sohn die Wange zum Kuss.
Emillia sah Dagnarus nicht direkt an, sondern betrachtete ihn nur im Spiegel. Während der gesamten Zeit, die sie mit ihrem Sohn sprach, gab sie auch weiterhin der Dienerin Anweisungen zum Frisieren. Sie war erst fünfundzwanzig und hatte einen Mann von beinahe siebzig geheiratet.
Dagnarus küsste seine Mutter mit demonstrativer Zuneigung, was den Hofdamen Gurrlaute und zahlreiche Äußerungen darüber entlockte, wie »süß« er sei.
Offensichtlich war die Königin mit ihrer Frisur nicht zufrieden. Der Scheitel war nicht ganz in der Mitte und verursachte ihr Kopfschmerzen. Zornig schickte sie alle weg, nannte sie Idiotinnen und wandte sich endlich ihrem Sohn zu. Sie kämmte sein Haar mit den Fingern, zupfte seinen Überrock zurecht, zog an seinem Gürtel und tätschelte ihn, wie sie auch ihren Hund tätscheln mochte, der seinerseits die Jungen wild anbellte.
Gareth starrte noch den Hund an, als er hörte, wie sein Name erwähnt wurde. Dagnarus packte ihn am Handgelenk und zerrte seinen Freund vorwärts. Die Garderobenverwalterin, die noch hinter dem Jungen stand, drückte auf seine Schulterblätter, aber Gareth war gut erzogen. Er sank vor Ihrer Majestät auf die Knie und blieb mit gesenktem Kopf in dieser Position hocken, bis sie ihn zur Kenntnis nahm.
»Lass uns einmal schauen, wie du aussiehst, mein Kind«, sagte die Königin.
Gareth hob den Kopf.
Ihre Majestät riss die Augen auf. Sie stieß einen leisen Entsetzensschrei aus und sank gegen die Rückenlehne ihres Stuhles zurück. Sie umklammerte ihren Sohn und zerrte ihn weg von dem Fleck in Gareths Gesicht und versuchte, ihn abzuschirmen, als könnte der Fleck ansteckend sein.
Beschämt schlug Gareth die Hände vors Gesicht und wünschte sich, durch den Teppich und den Marmorboden darunter sinken zu können.
»Nein! Unmöglich! Warum hat man mir das nicht gesagt?«, rief die Königin.
Ihre Damen kamen ihr aufgeregt zu Hilfe, brachten Wasser und Wein und fächelten sie, um sie wieder zu beleben. Gareth konnte nichts sehen, aber er hörte das Rascheln ihrer Röcke und roch ihr Parfüm, als sie sich um die Königin drängten. Eine trat in ihrem Eifer, sich um ihre Herrin zu kümmern, auf ihn. Eine andere näherte sich Gareth mit einem Kissen in den Händen, bereit, es über das beleidigende Gesicht zu legen. Gareth hörte seine eigene Mutter rufen, dass dieses unselige Kind sofort entfernt werden solle.
»Nein, das soll er nicht«, erklärte Dagnarus.
Er entwand sich dem Griff seiner Mutter und packte den erstbesten Teil von Gareth, den er erreichen konnte: Gareths Haar. Dagnarus riss den Jungen auf die Beine. Gareths Wangen brannten vor Scham. Er ließ den Kopf hängen. Dagnarus nahm die schlaffe Hand seines Freundes und umklammerte sie mit seiner eigenen wie mit einer Fessel.
»Fleck ist mein Prügelknabe, Mutter«, sagte er. »Ich mag ihn, und ich werde ihn behalten.«
Die Königin, inmitten eines Schwarms ihrer Damen, hinter
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