Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
zumindest heißt es so. Manchmal frage ich mich, ob es nicht sogar ihnen schwer fällt, unsere Königin zu lieben.«
»Still, Liebster! Nicht so laut«, warnte ihn seine Frau. Sie stand auf und schloss die Fensterläden. »Das Herz des Königs wurde vielleicht mit seiner ersten Frau ins Grab gelegt, aber das bedeutet nicht, dass er das Kind seiner zweiten Frau nicht lieben könnte. Die Götter seien uns gnädig, Dagnarus ist immerhin sein Sohn!«
»Tamaros betet das Kind geradezu an. Aber er liebt Dagnarus nicht. Und das weiß der Junge.«
»Armes Kind«, meinte die Frau kopfschüttelnd. »Armer Junge. Noch mehr Lamm, Liebster?«
Evaristo war in seiner Verzweiflung auf die Idee gekommen, einen Prügelknaben an den Hof zu holen. Er machte sich keine Illusionen. Er nahm nicht an, dass Dagnarus plötzlich ein fleißiger Schüler würde, nur um einem Untergebenen eine Strafe zu ersparen. Aber er würde es vielleicht deshalb tun, weil er es nicht ertragen konnte, dass ein anderer besser war als er.
Evaristo benutzte Gareth, um das Lernen zu einem Wettbewerb zu machen, und obwohl Dagnarus den Plan seines Lehrers beinahe sofort durchschaute, störte es ihn dennoch zutiefst festzustellen, dass der Prügelknabe etwas besser konnte als er selbst. Dagnarus lernte grimmig, hasste jede einzelne Minute davon und machte den armen Gareth damit vollkommen unsicher, denn er bekam wirkliche Angst, dass der Prinz ihn bald ebenso hassen würde wie die Bücher. Also war Gareth erleichtert, als Dagnarus das Schulzimmer schließlich doch nicht mehr ertragen konnte und wieder zu schwänzen begann.
Dafür geschlagen zu werden tat zwar weh, aber es war erheblich besser, als vom glühenden Blick der grünen Augen des Prinzen gebraten zu werden. Gareth störte sich nicht an Evaristos Schlägen, die ohnehin halbherzig waren und nur deshalb verabreicht wurden, weil alle es so erwarteten. Evaristo gab sich Mühe, Striemen auf Gareths Beinen und Hinterteil zu hinterlassen, die er dann Dagnarus vorführte, damit der Prinz sich schämen sollte. Sie hatten nie die gewünschte Wirkung.
»Gut zu sehen, dass du dir dein Brot verdienst, Fleck«, sagte Dagnarus bei seiner Rückkehr nach einem Tag der Freiheit. »Ich tue dir nur einen Gefallen«, fügte er mit einem Aufblitzen von Gold in seinen grünen Augen hinzu. »Wenn du nicht regelmäßig geschlagen wirst, wird der Kämmerer dich für Luxus halten und rauswerfen.«
Der Kämmerer. Evaristo schien es immerhin Leid zu tun, dass er den Jungen schlagen musste, und der Lehrer entschuldigte sich hinterher immer aufrichtig. Der Kämmerer entschuldigte sich nicht, es tat ihm auch nicht Leid, wenn er Gareth schlug. Ganz im Gegenteil, er schien es zu genießen. Dagnarus hasste den Mann und tat oder sagte immer irgendetwas, um ihn zu beschämen oder lächerlich zu machen. Der Kämmerer wagte es nicht, den Prinzen zu schlagen, aber er konnte seinen Zorn und seine Hilflosigkeit nun an Gareth auslassen.
Man musste Dagnarus lassen, dass er mit seinen kleinlichen Quälereien aufhörte und ernsthaft versuchte, den Kämmerer loszuwerden, als der Mann Gareth heftiger schlug – einmal brach er dem Jungen sogar die Nase. Es brauchte einige Zeit, für die Entfernung des Kämmerers zu sorgen, denn Königin Emillia mochte ihn, weil er aus ihrem Heimatland Dunkarga stammte. Aber am Ende bekam Dagnarus wie immer das, was er wollte. Die Suche nach einem neuen Kämmerer begann, um schließlich bei einem Elfen namens Silwyth zu enden.
Silwyth war nur ein paar Monate zuvor nach Vinnengael gekommen, angeblich um der Bildung willen. Er war um die hundert Jahre alt, was bei den Menschen etwa zwanzig Jahren entsprach. Dagnarus und Gareth hatten Gerüchte darüber gehört, dass man den Elfen zum Kämmerer berufen wollte, und keiner der Jungen war darüber erfreut. Sie hatten ihn hin und wieder bei Hofe gesehen und wussten, dass er kalt und zurückhaltend, höflich und korrekt und ausgesprochen diszipliniert war wie alle Elfen. Sie erwarteten, dass er ein hoffnungsloser Langweiler wäre.
Es sollte sich zeigen, dass eben diese langweiligen Eigenschaften der Grund für seine Wahl gewesen waren. Silwyth war vom König selbst für diese Stellung ausgesucht worden, nicht von der Königin, und das Ganze war die Folge eines unseligen Zwischenfalls, in den der Prinz verwickelt war.
Ein wichtiger Besucher war an den Hof gekommen, einer der Hüter der Zeit aus dem Kloster auf dem Drachenberg. Diese Hüter gehören zu den am meisten
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