Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
der Bücher, auf die er am Tag zuvor so versessen gewesen war.
Dieses Buch war von der Oberin des Ordens des Wissens verfasst worden, die als die Bibliothekarin bekannt war, und sie hatte es eigens zur Erbauung des jungen Prinzen geschrieben. Das Buch gehörte zu einer ganzen Reihe, die über all die kleinen und großen Völker berichtete, die es in der bekannten Welt gab. Das Volk, über das Gareth an diesem Tag etwas lesen sollte, waren die Orks.
Er hatte an jenen Tagen, an denen man es ihm gestattet hatte, die Diener bei ihren Einkäufen zu begleiten, hin und wieder Orks auf dem Marktplatz gesehen. Sie lebten an der Küste und am Ufer des Ildurel-Sees, der so gewaltig war, dass er Gezeiten hatte wie ein Meer. Die Orks waren ein Volk von Seefahrern und fuhren auf ihren Schiffen auch vom See aus auf das wirkliche Meer hinaus, das Meer von Ayrkis. In Vinnengael lebten nur wenige Orks; ihre Heimat lag weit im Süden, obwohl sie das Meer als ihre wahre Heimat betrachteten.
Orks sind größer als Menschen, mit breiten Brustkörben und dicken Hälsen, Armen und Oberschenkeln. Sie tragen weite, bequeme Kleidung, meist Hosen und Hemden mit offenem Kragen und langen, weiten Ärmeln. Selbst bei kältestem Wetter tragen sie nur selten Umhänge, denn ihre Haut ist dick, und sie sind nicht empfindlich gegen Kälte. Die meisten Orks, Männer wie Frauen, sind Seeleute. In ihrem Heimatland befinden sich alle Dörfer und Städte direkt an der Küste; Orks wohnen nicht gern im Binnenland. Sie sind ihrem eigenen Verständnis nach Händler und Fischer, andere betrachten sie als Piraten. Außerdem halten Menschen und Elfen die Orks für träge und dumm. Gareths Interesse an den Orks war schließlich größer als seine Schüchternheit in Gegenwart des Prinzen und des Lehrers. Zunächst suchte er die Heimat der Orks auf einer Landkarte, dann begann er, die Geschichte dieses Volkes nachzulesen, stolperte über die seltsamen Namen der Orkstädte wie Quash'Gaat oder Kallka. Gebannt las er weiter und weiter, bis er spürte, dass er beobachtet wurde.
Gareth blickte auf und sah, dass Dagnarus sich vom Fenster abgewandt hatte. Er starrte ihn derart feindselig an, dass Gareth die Worte im Hals stecken blieben, als hätte ihm der Prinz einen Korken in den Mund gesteckt.
»Euer Hoheit«, sagte Evaristo in das plötzliche Schweigen hinein, »Gareth hat diese Passage gut gelesen, aber er hatte ein paar Schwierigkeiten. Vielleicht können Euer Hoheit ihm zeigen, wie man es besser macht.«
Zu Gareths Überraschung warf Dagnarus Evaristo einen Blick zu, der so voller Bosheit und Hass war, dass es den Jungen nicht überrascht hätte, wenn der Prinz die sofortige Hinrichtung des Lehrers befohlen hätte. Evaristo ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Euer Hoheit?«
Dagnarus' Rücken wurde sichtbar steifer. Dann wandte er sich von seinem Lehrer ab und starrte aus dem Fenster.
»Ich ziehe es vor, nicht zu lesen«, erklärte er mit eisiger Stimme. Sein Nacken war rot, und die rosige Farbe bildete einen Kontrast zu dem dunkleren Rotbraun seines Haars.
»Nun gut«, meinte Evaristo. »Gareth, fahr bitte fort.«
Verlegen und aufgeregt und voller Angst, dass der Prinz ihn nun hassen würde, beugte Gareth den Kopf über das Buch und murmelte vage, die Worte seien zu schwierig. Er könne nicht weitermachen.
Evaristo lächelte nur und meinte, dass ein wenig Schlaf sein Gedächtnis vielleicht auffrischen würde. Dann legte er das Orkbuch beiseite und fragte Gareth, was er vorhätte, wenn er erst erwachsen sei.
Darüber hatte der Junge noch nie nachgedacht. Er war immer noch zu erschüttert von dem Vorfall mit dem Buch, um antworten zu können, also blieb er sitzen und starrte seine Hände an.
»Ich glaube, dein Vater ist der Lord von Walraith«, meinte Evaristo. »Vielleicht hast du nichts weiter vor, als später einmal Herr über dein Anwesen zu sein.«
»Der Landsitz gehört meiner Mutter und ihrer Familie«, erklärte Gareth. »Bei ihrem Tod wird er an ihren Vetter fallen.«
Er war sich selbst nicht ganz sicher, was das bedeutete; er wusste nur, dass seine Mutter und sein Vater sich unaufhörlich darüber beschwerten, wie ungerecht das alles war, und einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens an Anwälte gezahlt hatten, die etwas an diesem Zustand ändern sollten.
»Aha. Deshalb hat man dich also an den Hof gebracht. Nun, dann wirst du ein Handwerk brauchen, eine Beschäftigung. Eine, die deiner Stellung angemessen ist. Vielleicht möchtest du
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