Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
überließ er sich einfach dem angenehmen Gefühl, hier umherzugehen und sich daran zu erfreuen, wie ein Geizhals sich daran erfreut, sein Gold einfach nur anzusehen.
Er bemerkte kaum, wie die Zeit verging. Er ging von Zimmer zu Zimmer, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und sah sich die Bücher in Augenhöhe an und versuchte, sich jene zu merken, die er bei seiner Rückkehr an diesen Ort lesen wollte. Die Liste wuchs, bis es immer wahrscheinlicher wurde, dass ihn all diese Bücher beschäftigen würden, bis er erwachsen wäre. Er bemerkte aufgeregt, dass er ein Zimmer erreicht hatte, das voll mit Büchern über Magie war.
Es gab hier keine Bücher mit Zaubersprüchen; diese Bände wurden im Tempel der Magie aufbewahrt. Aber es gab gelehrte Abhandlungen über die Magie sämtlicher Völker, die Art ihrer Ausübung, ihre Bestandteile.
In nur zwei Jahren, dachte Gareth, werde ich mit meinen eigenen Studien hier beginnen. Er stellte sich vor, wie er direkt zu dem Buch ging, das er lesen wollte, es aus dem Regal holte und zum Bibliothekar brachte, der dann seinerseits angemessen beeindruckt vom Lerneifer dieses jungen Gelehrten wäre.
Gareth ergab sich dieser angenehmen Vorstellung, während er weiter an den Regalen vorbeiging. Endlich aber verschwand auch dieser Tagtraum. Gareth war müde, und der Hals tat ihm weh, weil er so oft den Kopf zurückgelegt hatte, um die Titel von Büchern in höheren Regalen lesen zu können – Titel, die ihm nun vor den Augen verschwammen. Es war Zeit, zu Evaristo zurückzukehren, und dennoch, dachte Gareth, hatte er noch nicht ein einziges Buch berührt.
Er hatte das Ende eines Gangs erreicht, und am Ende des untersten Regalbretts in einer dunklen Ecke lag ein schmales Buch mit schlichtem Umschlag, dick mit Staub bedeckt. Es war umgekippt, weil es das Letzte in der Reihe war, und lag auf der Seite. Es schien schäbig und unwichtig, ein Buch, für das sich niemand interessierte, denn niemand hatte sich auch nur die Mühe gemacht, es wieder aufzustellen. Hier war ein Buch, das er sich ansehen konnte, ein Buch, das er in der Hand halten und durchblättern konnte, das keinen Platzhalter brauchte, das er dem Bibliothekar nicht zu zeigen brauchte. Gareth griff nach dem schmalen Band, wischte den Staub ab, ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder und war froh über die Rast. Er schlug das Buch auf.
Es war eine Enttäuschung. Es war zwar in der Sprache von Vinnengael verfasst, hätte aber ebenso gut in einem schwierigen Elfendialekt geschrieben sein können, so wenig begriff er das, was er las. Das Buch hatte mit Leere und Tod und Magie zu tun, so viel verstand er, aber was irgendetwas davon mit dem Rest zu tun haben sollte, konnte er nicht feststellen. Es war mit langen, großen Wörtern gefüllt und ungemein langweilig. Es gab nur eine einzige Illustration, die vier Mandalas darstellte, die für die vier Elemente standen. Gareth erkannte sie, weil die Symbole recht bekannt waren und in Stoffmustern und bei Stickereien benutzt wurden, und häufig brachte man sie auch an Häusern an, denn es hieß, sie brächten Glück.
Für gewöhnlich waren die Symbole in einer geraden Linie angeordnet: ein leerer Kreis für das Feuer, ein Kreis mit einem Punkt in der Mitte für Luft, ein von einer horizontalen Linie durchzogener Kreis stand für Wasser und einer mit einem Kreuz darin für Erde. Die Kreise in diesem Buch standen nicht in einer Reihe, sondern einander entgegengesetzt. So befand sich Feuer gegenüber Wasser, Luft gegenüber Erde. In der Mitte war ein vollkommen dunkler Kreis, so dunkel, dass es beinahe aussah, als hätte die Buchseite ein Loch. Dieser Kreis war mit »die Leere« beschriftet. Der Autor sprach weiter von Tod und Blut und der Seele und davon, wie die Macht der Elemente durch die Leere gehen musste und was es bedeutete, wenn sie es taten, und Gareth verstand nichts davon.
Er wusste von der Leere, aber nicht viel – es war wie Sex: Die Erwachsenen sprachen nur im Flüsterton darüber und verzogen missbilligend das Gesicht, wenn das Wort in seiner Gegenwart ausgesprochen wurde. Die Leere war sehr böse und hatte etwas mit Magie und Tod zu tun, aber das war alles, was Gareth wusste.
Er wollte auch nicht unbedingt mehr wissen. Schon die Erwähnung des Todes brachte mit aller Macht die Erinnerung an den Schrecken des Vortags zurück, die er in der angenehmen Umgebung der Bibliothek beinahe vergessen hatte. Als ein Schatten über ihn fiel, erschauerte er und wusste,
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