Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
des Bahk und das klaffende Maul mit den rasiermesserscharfen Zähnen waren in einem Ausdruck erstarrt, der dieses riesige Geschöpf friedlich wirken ließ, ganz anders als andere seiner Art. Die meisten Bahk haben Gesichter, die von Grausamkeit und Hass künden. Dieser Bahk lächelte, als wäre er mit dem Wissen gestorben, gute Arbeit geleistet zu haben.
Diese gefährlichen, ungeschlachten riesigen Ungeheuer waren neu in Loerem und – wie die meisten Gelehrten glaubten – erst aufgetaucht, nachdem die Portale zerstört wurden und sich ihnen andere Länder, vielleicht sogar andere Welten öffneten. Sie waren furchterregend aussehende Wesen mit hochgezogenen Schultern, der Rücken von einem Knochenpanzer geschützt, wilde, raue Tiere und, wie die meisten Menschen glaubten, grausam und bösartig und ohne andere Vorlieben als die für Magie und Gemetzel.
Und dennoch gab es hier einen, den sie den Beschützer genannt hatten, der Jahre bei den sanften Pecwae gelebt hatte und hoch geehrt und von vielen geliebt gestorben war.
Gustav schämte sich einen Augenblick, weil er so viele Brüder des Bahk ohne Bedauern getötet hatte. Wie die meisten Ureinwohner von Loerem hatte er angenommen, die Bahk seien Ungeheuer ohne Seele. Vor sich sah er jedoch den Beweis des Gegenteils.
Rings um die Leiche hatte man Steine aller Art aufgehäuft. Türkise glitzerten blau im Silberlicht, Bernstein schimmerte golden, Pyrite glitzerten, Quarz glimmerte. Keiner dieser Steine war der Stein der Könige, der heilige Schatz, den Gustav suchte, und er erwartete auch nicht, ihn hier zu finden. Er legte das Schwert auf den Boden des Grabmals und stand auf. Mit langsamen Bewegungen und respektvoll gefalteten Händen näherte er sich der Leiche. Die Ratten folgten ihm. Er konnte das Kratzen ihrer Klauenfüßchen auf dem Boden hören. Die Moskitos schwirrten ganz in seiner Nähe. Die Baumwurzeln zuckten.
Auf der Brust des Bahk lag ein silberner Kasten, eine Pecwae-Arbeit, so lang wie Gustavs Hand und eine Handspanne breit.
Eingraviert waren Bilder von Tieren, Blumen und Ranken. Jedes Tier hatte Türkisaugen. Auch die Blütenblätter bestanden aus eingelegten Edelsteinen – Jaspis, Fluorid, Lapislazuli – und auf dem Deckel des Kastens befand sich der größte Türkis, den Gustav je gesehen hatte. Silberadern durchzogen ihn wie ein Spinnennetz. Der Kasten selbst war von bewundernswerter Schönheit. Der Deckel war mit Scharnieren befestigt und wurde von einem Silberriegel gehalten, den man mit einem Finger aufschnippen konnte. Der Riegel wirkte abgegriffen und benutzt. Offensichtlich hatte der Bahk sein Schatzkästlein häufig geöffnet, um seinen kostbaren Besitz zu bewundern.
Gustav streckte die Hand aus, um den Kasten zu berühren. Aber plötzlich zögerte er.
»Dieser Kasten ist ein letzter Schutz«, begriff er.
Die Magie des Kastens war sehr mächtig. Er konnte ihre Vibrationen spüren. Der Kasten würde jeden einfachen Dieb töten, selbst wenn er den anderen Beschützern des Grabmals entgangen sein mochte.
Einen Dieb wie ihn. Einen Dieb, wie Gustav einmal einer gewesen war.
Er hatte dieses Leben schon lange aufgegeben. Seitdem hatte er seine vergangenen Sünden tagtäglich bedauert. Er hatte getan, was er konnte, um sie wieder gutzumachen. Aber was, wenn das alles nicht zählen sollte?
Die Magie des Kastens war tödlich. Sie würde nicht zögern, jeden umzubringen, den sie für unwürdig hielt, den gesegneten Stein zu halten.
Seine Hand verharrte zitternd über dem Silberkasten, aber plötzlich musste er lächeln.
»Nun, Gustav«, sagte er, denn die langen Jahre einsamer Reisen hatten dazu geführt, dass er häufig mit sich selbst sprach, »du hast vierzig Jahre deines Lebens damit verbracht, danach zu suchen, und jetzt hast du Angst, es zu berühren. Wie Adela lachen würde, wenn sie das sehen könnte! Ich darf nicht vergessen, es ihr zu erzählen. Falls ich überlebe…«
Seine Hand schloss sich um den Silberkasten.
Ein Kribbeln wie kaltes Wasser lief durch seinen Körper. Das war alles. Nichts weiter.
Langsam und voller Ehrfurcht hob er den riesigen Kopf des Bahk und zog vorsichtig die kunstvolle Silberkette darüber, mit der der Kasten am Hals des toten Geschöpfs befestigt war. Den Kasten in der Hand, betrachtete er sich den Riegel genau, weil er ihn nicht abbrechen wollte. Seine Finger zitterten so sehr, dass er es mehrmals versuchen musste, aber schließlich schnappte der Riegel zurück. Gustav klappte den Deckel auf und
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