Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
sein!
Nun war er müde, kaum im Stande, auf den Beinen zu bleiben, und er gähnte so schrecklich, dass seine Kiefer knackten. Das Gespräch hatte fast den Rest der Nacht gedauert. Schwaches, graues Licht in den schattigen Fluren kündigte die Morgendämmerung an. Er würde noch einmal nach Ranessa sehen und dann den ganzen Tag schlafen. Das hatte er sich verdient. Er stapfte weiter, dann fiel ihm ein, dass er die Urkunde, die ihm Gustavs Ländereien und sein Herrenhaus übereignete, auf dem Tisch am Feuer gelassen hatte.
Eine dramatische Geste, aber eine, die er nun bereute. Er würde morgen zurückkehren, zugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte, und darum bitten, die Urkunde zurückzuerhalten. Er wollte kein adliger Herr sein, aber er würde das Land immer noch verkaufen und das Silber einem vinnengaelischen Geldhändler überlassen können, der es für ihn aufbewahrte. Er würde für den Rest seines Lebens genug haben, um zufrieden davon leben zu können.
»Von nun an brauche ich nicht mehr um Pferde zu feilschen«, versprach er sich. »Von nun an gibt es nur noch die besten Pferde für Lord Wolfram.« Er lachte leise über seinen neuen Titel.
Als er in den Gemeinschaftsraum kam, blieb er wie angewurzelt stehen.
Eine Rauchwolke hing in der Luft. Der Raum lag in Trümmern. Tische waren umgekippt, Decken in Fetzen gerissen und dann verbrannt. Die Binsen der Matten waren überall im Zimmer verstreut. Auch das Stroh war angezündet worden. Immer noch schwelend lag es verkohlt am Boden.
Eine Invasionsarmee hätte weniger Schaden angerichtet.
Wolfram drängte sich durch die Spuren der Zerstörung, spähte durch den Rauch, um Ranessa zu finden.
Sie war nirgendwo zu sehen.
Ranessa tat so, als ob sie schliefe, bis der Zwerg gegangen war und dabei vor sich hin gemurmelt hatte, wegen seiner Belohnung mit den Mönchen sprechen zu müssen. Dann blieb sie auf der Matte liegen und starrte hinauf in den Schatten, der dicht unter der Decke hing. Sie hatte so lange von diesem Ort geträumt und nun, da sie hier war, wusste sie nicht warum. Eine Stimme versuchte es ihr zu erklären, aber sie konnte die Stimme nicht verstehen, denn sie benutzte eine seltsame Sprache.
Die Stimme war jedoch sehr geduldig und wiederholte die Worte wieder und wieder, wie man es einem kleinen Kind gegenüber tut. Und wie ein Kind hatte Ranessa bald genug von der Stimme. Sie warf die Decke weg, sprang auf und schrie die Stimme an.
»Ich höre dich, aber ich weiß nicht, was du willst.« Zornig sah sie sich um. »Sprich deutlich! Verdammt, sprich meine Sprache!«
Die Stimme sprach abermals leise und geduldig, aber nach wie vor vollkommen unverständlich.
Außer sich vor Zorn rannte Ranessa zu dem langen Tisch mit dem Essen. Sie packte den Tisch und stieß ihn um. Brotlaibe fielen zu Boden. Holzteller klapperten auf die Steinfliesen, gelbe Käseräder rollten, zum unendlichen Entzücken der Klostermäuse in alle Ecken. Steingutkrüge rutschten vom Tisch und zerbrachen. Schäumendes Bier überflutete das Zimmer und füllte es mit seinem Geruch.
»Antworte!«, schrie Ranessa. »Sag, was du von mir willst!«
Wieder sprach die Stimme beruhigend, wie Eltern mit einem trotzigen Kleinkind sprechen würden. Die Worte drangen in Ranessas Kopf, aber sie konnte sie nicht verstehen. Sie riss an ihrem Haar und glaubte, vor Zorn den Verstand zu verlieren.
Sie stampfte auf das Brot. Sie trat die Scherben des Krugs quer durchs Zimmer. Dann packte sie ein paar Decken, zerriss sie und warf die Lumpen im Zimmer umher. Sie zerriss auch die Matten, zerfetzte sie und warf die Binsenstücke in die Luft, so dass sie wie staubiger Regen niederfielen. Sie rannte zum Feuer, griff nach einem brennenden Scheit und schleuderte es in den Haufen trockener Binsen. Sie gingen sofort in Flammen auf und erfüllten die Luft mit Rauch.
Wieder sprach die Stimme. Zornig über alle Maßen versuchte Ranessa, sich die Ohren zuzuhalten. Sie schrie und kreischte und rannte in die Nacht hinaus.
Die Mönche hörten die Unruhe, aber keiner ging nachsehen, was geschehen war. Sie hielten in ihren Studien inne oder öffneten die Augen und setzten sich im Bett aufrecht hin. Einer nach dem anderen kehrten sie mit einem leisen Seufzer wieder an die Arbeit oder zum Schlaf zurück.
Die Omarah löschten das Feuer.
Wolfram, entsetzt über die Trümmer, stand inmitten des rauchgefüllten Raums und versuchte zu überlegen, was er jetzt tun sollte. Sein erster erschrockener Gedanke hatte darin
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