Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
ruhen lassen. Sie streichelte den Kasten, und manchmal ließ sie den Blick zu ihm schweifen.
»Du wirst bemerken, dass das Siegel nicht beschädigt wurde«, sagte Wolfram.
Feuer nickte. Dann brach sie das Siegel und öffnete den Kasten.
Wolfram beobachtete sie genau.
Ritter Gustav hatte behauptet, der Kasten würde von einem Zauber bewacht, aber Feuer wurde anscheinend problemlos damit fertig. Das bestätigte Wolframs Verdacht, dass er keiner echten Zwergin gegenüber saß, denn Zwerge mögen Magie nicht und trauen ihr nicht über den Weg.
Feuer holte eine Pergamentrolle aus dem Kasten, die ordentlich mit einem roten Seidenband gebunden war. Sie löste das Band, rollte das Pergament auf und las aufmerksam, was darauf stand.
Wolfram nestelte an seinem Armreif herum. Er hätte eigentlich müde sein sollen, und das war er auch, aber gleichzeitig fühlte er sich hellwach. Er war unruhig und nervös und wusste nicht genau, warum.
»Das ist alles vollkommen in Ordnung«, erklärte Feuer schließlich und hob den Kopf wieder. »Wir werden selbstverständlich Ritter Gustavs letztem Wunsch nachkommen und dir die Besitzurkunde für seine Ländereien und das Herrenhaus übergeben. Du bist jetzt ein vinnengaelischer Adliger, Wolfram. Ein wohlhabender Mann. Der Wolf sei gepriesen.«
Sie reichte ihm die Urkunde. Wolfram nahm das Pergament entgegen und steckte es in seinen Gürtel. Er freute sich erheblich weniger, als er es erwartet hatte. Er starrte weiterhin den Kasten an.
»War sonst nichts darin?«
»Nein, Wolfram.« Feuer hob den Kasten, so dass er hineinsehen konnte. »Möge der Wolf deinen Schlaf bewachen.«
Sie stand auf. Wolfram war entlassen, aber ihm war noch nicht danach zu gehen. Er blieb sitzen.
»Du musst müde sein«, fügte Feuer hinzu. »Du kannst dich jetzt ausruhen. Ein Mönch wird morgen zu dir kommen, um die Einzelheiten aufzuzeichnen.«
»Ich denke, der Vrykyl wollte den Kasten haben«, sagte Wolfram.
Feuer nickte. »Das ist gut möglich.«
»Warum? Was sollte ein Vrykyl mit Ländereien und einem Herrenhaus anfangen?«
»Ich denke, du hast die Antwort schon selbst gefunden, Wolfram«, sagte Feuer. »Du kanntest Ritter Gustav. Du wusstest von seiner Suche.«
»Ja, das wusste ich.« Er rutschte ein wenig auf dem Stuhl hin und her. »Und was ist mit den jungen Leuten? Haben sie es geschafft?«
»Es ist noch vieles unentschieden«, erwiderte Feuer.
Wolfram schnaubte. »Was ist mit Ranessa?«, wollte er plötzlich wissen.
»Was soll mit ihr sein?«, erwiderte Feuer und sah ihn freundlich an.
»Sie ist hier.« Wolfram wies mit dem Daumen in Richtung des Gemeinschaftsraums. »Ich habe sie hergebracht.«
»Das weiß ich.« Feuer runzelte die Stirn. »Falls du eine zusätzliche Belohnung erwartest – «
»Belohnung!«, schnaubte Wolfram. »Ihr habt ja eine hohe Meinung von mir! Ihr glaubt, es geht mir nur um Gold? Hier!« Er riss die Urkunde aus dem Gürtel und warf sie auf den Schreibtisch. Dann sprang er auf und hielt Feuer den Arm mit dem Armreif vor die Nase. »Ihr habt mich ausgenutzt, und ich habe genug davon. Ihr habt dafür gesorgt, dass ich dem Hurensohn-Ritter begegne. Ihr habt mich dazu gebracht, den Kasten zu nehmen. Ihr wolltet, dass ich Ranessa herbringe. Und dann habt ihr den Vrykyl auf mich gehetzt. Wäre das Mädchen nicht gewesen – der Wolf möge sie segnen! –, dann stünde jetzt der Vrykyl auf eurer Schwelle, mit diesem Kasten in seinen verfaulenden Fingern. Und jetzt liegt das Mädchen da unten und steht Todesängste aus, und ich weiß nicht, was ihr mit ihr anfangen wollt, und du sprichst von einer Belohnung! Das ist einfach unverschämt.«
Er begann an dem Armreif zu zerren. »Nimm ihn mir ab«, tobte er. »Nimm ihn mir ab!«
Feuer bewegte sich rasch. Sie legte ihm die Hand auf den Arm, berührte den Armreif.
»Das werde ich tun, Wolfram«, sagte sie, und ihre Stimme klang sanft und freundlich. »Aber setz dich erst einmal wieder ruhig hin und höre mich an.«
Wolfram warf ihr einen wütenden Blick zu, aber schließlich war er überzeugt, dass sie es ernst meinte, und setzte sich wieder auf den Stuhl.
»Du wirst mich nicht überreden können, ihn zu behalten«, sagte er mürrisch.
»Das habe ich auch nicht vor«, antwortete Feuer. »Tatsächlich haben wir schon geplant, dir diese Verantwortung von den Schultern zu nehmen, denn dein künftiges Schicksal wird dich von uns wegführen. Ich möchte nur, dass du verstehst, was geschehen ist, und warum wir getan haben,
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