Der Stein der Wikinger
das?«, fragte sie.
»Aber … du hast doch selbst …«, begann er verstört.
»Ich habe gesagt, dass ich nur einen Mann heiraten werde, der stark und mutig genug ist, um es mit den Dämonen von Hel aufzunehmen«, erwiderte sie. »Du hast einige Männer getötet, das ist wahr, aber warst du an fremden Küsten wie dieser Mann? Hast du die bösen Mächte des Meeres besiegt? Leuchtet der Glanz eines Gottes in deinen Augen? Bist du meiner wert, Folkmar?«
Folkmar schoss das Blut ins Gesicht. Wutentbrannt zog er sein Schwert und ging damit auf Hakon los. »Ich werde dir zeigen, wozu ich fähig bin! Steh auf und kämpfe mit mir, Hakon! Oder bist du zu feige?«
Gunnhild sprang auf und stellte sich ihm in den Weg. »Noch nicht, Folkmar! Hakon ist schwach und muss sich erst erholen. Ich würde niemals einen Mann nehmen, der einen kranken Gegner besiegt hat. Warte ein paar Tage, bis Hakon wieder gesund ist. Dann wird er bereit sein, deine Herausforderung anzunehmen. Ist es nicht so, Hakon?« Sie drehte sich zu Hakon um, schien große Freude daran zu haben, ihn gegen einen anderen Verehrer auszuspielen.
»Warum sollte ich gegen ihn kämpfen, Gunnhild?«
»Weil ich es so will, Hakon. Und weil er dir sonst für den Rest deines Lebens auflauern wird. Der Mann, der mich heiraten wird, darf keinen seiner Feinde verschonen. Du wirst ihn die Klinge deines Schwerts spüren lassen!«
»Und wenn ich ihn besiege?«, fragte Folkmar herausfordernd.
»Dann werde ich mit dir bis ans Ende der Welt gehen«, versprach sie. »Aber es wird nicht geschehen. Odin hat diesen Mann ins Meer gestoßen, damit er mich erobert. Nur er ist stark genug, um an meiner Seite zu bestehen.«
»Ha!«, erwiderte Folkmar höhnisch. Er steckte sein Schwert zurück. »Soll er nur kommen, der Angeber. Komm auf die Klippen, sobald du gesund bist, Hakon von Eisland, und schmecke dein Blut! Ich werde dich zermalmen und das, was von dir übrig ist, zu den Fischen ins Meer werfen!«
»Genug!«, schaltete sich Kolfinn ein. Er erhob sich von seinem Hochsitz und trat vor Folkmar. »Hör auf, meinen Gast zu beschimpfen, und verlasse dieses Haus! Du hast gehört, was meine Tochter gesagt hat. Geh, Folkmar!«
Folkmar ging wütend zur Tür, drehte sich noch einmal um und rief: »Ich warte auf den Klippen auf dich. Sobald du gesund bist, schicke ich dich in die eisigen und dunklen Abgründe der Totengöttin Hel!«
Hakon blickte ihm mit gemischten Gefühlen nach. Seinetwegen konnte Folkmar die stämmige Gunnhild zur Frau nehmen, er selbst hatte kein Interesse an ihr. Aber er brauchte der Tochter des Jarls nur in die Augen zu blicken, um zu wissen, dass er keine Wahl hatte. Wenn er am Leben bleiben wollte, musste er ihren Verehrer besiegen. Das war auch die Meinung des Jarls, der ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schultern legte, bevor er zu seinem Hochsitz zurückkehrte und sich von seiner Frau den Met reichen ließ. Er glaubte, dass Odin den jungen Mann geschickt hatte, um seine Tochter zu ehelichen.
Gunnhild ließ eine weitere Schüssel mit Robbenfleisch bringen und reichte sie Hakon. »Iss, Liebster«, forderte sie ihn auf. »In ein paar Tagen, wenn du bei Kräften bist, will ich sehen, ob du der Mann bist, für den ich dich halte!«
Hakon griff nach der Schüssel und nickte schweigend.
5
Auch nachts war Hakon nicht allein. Nicht Gunnhild teilte das Lager mit ihm, sondern die namenlose Frau, die sein ganzes Denken und Handeln bestimmte, seit er in das geheimnisvolle Buch geblickt hatte. Selbst im Halbschlaf glaubte er ihr sanftes Lächeln und ihre anmutigen Bewegungen zu sehen.
Hakon war fest davon überzeugt, dass es sie gab. Der Mönch, der das Buch verfasst hatte, musste ihr in einem fernen Land begegnet sein. So dunkelhäutig wie sie waren nur Menschen, die jenseits des Meeres lebten, im fernen Süden, wo die Araber zu Hause waren, oder an einem anderen Ort, der nahe am Rand der Welt lag.
Er blickte auf Gunnhild. Sie lächelte im Schlaf wie eine Frau, die ihrer Sache vollkommen sicher war und fest daran glaubte, dass er bald das Lager mit ihr teilen würde. Noch im letzten Sommer hätte er gar nicht den Mut gehabt, sich den Wünschen eines Jarls zu widersetzen, damals hätte er sie vielleicht geheiratet und wäre mit ihr gemeinsam auf Raubzüge gegangen. Sie war bestimmt keine gewöhnliche Frau, die einem Mann den Haushalt führte und viele Kinder gebar.
Doch die Götter wollten es anders. Sie hatten ihn mit dem Bild einer wunderschönen Frau
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