Der Stein der Wikinger
befahl sie.
»Was soll ich?« Er blickte sie ungläubig an.
»Leg deine Kleider ab! Alle!«
Hakon gehorchte zögernd. Er streifte das Wams ab, zögerte lange, bevor er die Hosen nach unten zog und sich vollkommen entblößte, und ließ die Sachen ins Gras fallen. Mit beiden Händen bedeckte er den Teil seines Körpers, den bisher nur seine Mutter und einige Sklavinnen gesehen hatten.
Sie lächelte. »Und jetzt spring!«
»Ich soll … was?«
»Du sollst springen. Du hast doch keine Angst?«
Nein, er hatte keine Angst. In seiner Heimat war er schon von höheren Klippen gesprungen, besonders als Junge, wenn sie an der Küste gespielt und sich kopfüber ins Meer gestürzt hatten. Er war ein guter Schwimmer, so wie alle Nordmänner, die an der Küste lebten und das Meer ihre Heimat nannten.
»Ich stinke wohl«, sagte er amüsiert.
»Wie ein Walross«, stimmte sie ihm zu.
Hakon beschloss, sich auf ihr Spiel einzulassen. Er war wieder bei Kräften, und sein Kopf dröhnte kaum noch. Mit einem eleganten Hechtsprung segelte er von der Klippe hinab. Das eiskalte Wasser brachte seinen Herzschlag zum Stocken und raubte ihm fast den Atem, als hätte Ymir, der eisige Riese, in den grünen Fluten auf ihn gewartet. Er tauchte bis auf den Grund des Sees hinab, berührte das dunkle Gestein und schoss nach oben. Prustend tauchte er aus dem See. Er schüttelte sich und schwamm ans Ufer, hievte sich mit beiden Händen auf das felsige Gestein. Von seinem Körper tropfte das Wasser.
Es machte ihm nichts mehr aus, dass sie seinen nackten Körper sah. »Und du?«, rief er nach oben. »Bist du zu feige, von der Klippe zu springen? Ich denke, du bist eine tapfere Kriegerin! Warum springst du nicht, Gunnhild?«
Sie fühlte sich herausgefordert. »Glaubst du wirklich, ich bin zu feige?«
»Spring, Gunnhild!«
Sie sprang tatsächlich, streifte lediglich ihr Schaffell ab und hechtete mit dem Kopf voraus in das eisige Nass. Das Wasser spritzte und sandte heftige Wellen nach allen Seiten. Lachend tauchte sie auf, kraulte mit kräftigen Armbewegungen ans Ufer. Ohne sich von ihm helfen zu lassen, kletterte sie aus dem See. Ihre Kleider troffen vor Nässe, ihre Haare, die sie vor dem Schlafengehen geöffnet hatte, klebten an ihren rosigen Wangen.
Sie blickte auf seinen Unterleib und kicherte ungeniert. »Wann ziehst du dich endlich an, Hakon?«, fragte sie. »Oben warten neue Kleider auf dich.«
Er rannte den Pfad hinauf und zog frische Unterwäsche an, eine enge Hose, wie sie seit einiger Zeit in Mode war, ein wollenes Wams und einen schmalen Gürtel. Noch bevor sie die Klippen erreicht hatte, war er angekleidet. Die Sachen passten ihm wie angegossen. Er reichte ihr das Schaffell und sagte: »Ich werde mich erkenntlich zeigen, Gunnhild.«
»Du wirst mich heiraten«, antwortete sie fröhlich.
Mit eher gemischten Gefühlen folgte er ihr ins Langhaus zurück. Sie sah komisch aus in ihrer nassen Kleidung und den triefenden Haaren, aber er hütete sich zu lachen, und auch die beiden Sklaven, die gerade aus ihrer Hütte traten, verzogen keine Miene. Gunnhild schien ihr Aussehen vollkommen egal zu sein. Sie kicherte wie ein kleines Mädchen, das im Meer gebadet und seinen Spaß gehabt hatte, als sie das Langhaus betrat und zu ihrem Lager jenseits des Feuers ging. Ohne Scham wechselte sie ihre Kleidung. Sie ordnete ihre Haare mit einem kostbaren Kamm aus Tierknochen, der mit einem feinen Streifenmuster verziert war. Wahrscheinlich ein Beutestück von einem Kriegszug an fremde Küsten.
Einer der Sklaven reichte Hakon ein Horn mit heißem Kräutertee. Er nippte vorsichtig daran. Das heiße Getränk tat gut und weckte seine Lebensgeister.
»Ich grüße dich, Kolfinn«, begrüßte er den Jarl.
Kolfinn grüßte zurück und betrachtete ihn amüsiert. »Wie ich sehe, bist du wieder bei Kräften. Du bist sauber. Du hast ein Bad genommen, nicht wahr?«
»Es gibt nichts Schöneres an einem solchen Morgen«, erwiderte er.
Kolfinn wechselte einen spöttischen Blick mit seiner Tochter, reimte sich wohl zusammen, was bei den Klippen passiert war. »Wenn die Zeit dafür gekommen ist, werde ich dir ein Schwert geben«, sagte er, »doch jetzt wäre ich dir sehr dankbar, wenn du uns bei der Arbeit helfen würdest. Wir haben Holz aus Norwegen bekommen. Bist du ein guter Zimmermann?«
Auf Eisland hatte Hakon schon einige Male beim Bau eines Schiffes geholfen. Einer seiner Vettern war ein erfahrener Zimmermann und verstand sich vorzüglich auf das Arbeiten
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