Der Stein der Wikinger
durch ihre ausgeprägten weiblichen Formen von den anderen Ruderern. Ihre Muskeln waren kräftig, die Hände größer als bei jeder anderen Frau, die Hakon gesehen hatte, und in ihren hellen Augen stand eine Entschlossenheit, wie man sie nur bei wenigen Kriegern sah. Auf ihren Wangen waren Sommersprossen. Ihr Haar war zu zwei langen Zöpfen geflochten.
»Ich bin Gunnhild«, eröffnete sie ihm, »Kolfinns Tochter.«
Hakon war unwillkürlich zurückgewichen und zuckte zusammen, als sie neben ihm in die Hocke ging und mit einer Hand sachte über seinen Kopf strich. »Nur eine Schramme«, sagte sie. »Aber du warst lange im Wasser und bist noch schwach. Zu Hause werde ich dir ein warmes Lager bereiten.«
»Es geht schon wieder«, widersprach er vorsichtig. Die Vorstellung, einige Tage in der Obhut dieser Frau zu verbringen, behagte ihm nicht.
»Du wirst tun, was ich dir sage.« Es klang wie ein Befehl. »Erst wenn du im Vollbesitz deiner Kräfte bist, darfst du dich erheben.« Sie schob eine Hand unter sein Wams und berührte seine nackte Brust. Ein Lächeln machte ihre harten Augen sanfter. »In der Zwischenzeit werde ich dir schönere Kleidung besorgen. Obwohl ich nicht glaube, dass du sie brauchen wirst, wenn ich zu dir unter das Fell krieche.« Die letzten Worte hatte sie in sein Ohr geflüstert. »Magst du mich, tapferer Krieger?«
»Ob ich dich mag?« Er spürte, wie ihre kühle Hand über seinen nackten Bauch wanderte, und presste rasch seinen Unterarm auf das Bärenfell. »Ich habe dich doch eben erst kennengelernt. Du bist eine … eine starke Frau.«
Er atmete erleichtert auf, als sie ihre Hand unter dem Bärenfell hervorzog. »Ich weiß.« Sie schien sich über ihn lustig zu machen. »Ich bin keines dieser unterernährten Mädchen, die glauben, einen Mann mit einem schüchternen Lächeln und sanften Händen herumkriegen zu können.« Sie blickte auf die junge Astrid, um deutlich zu machen, wen sie damit meinte. »Ein Krieger braucht eine ganze Frau. Ist es nicht so, mein Freund?«
Hakon hütete sich zu widersprechen. Gunnhild schien nicht zu den Frauen zu gehören, die Widerrede tatenlos hinnehmen würden, und er war im Augenblick nicht in der Lage, sich mit ihr anzulegen. Der prüfende Blick ihres Vaters, der am Achtersteven stand und ihn mit seinem gesunden Auge beobachtete, tat ein Übriges. »Natürlich«, antwortete er. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Astrids traurige Miene. »Natürlich, Gunnhild.«
Sie lächelte zufrieden und zeigte ihre perlweißen Zähne. »Du gefällst mir, Hakon«, sagte sie. »Wenn du wieder gesund bist, werden wir viel Spaß miteinander haben.« Sie leckte sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Du warst auf einem Kriegszug, nicht wahr? Hast du viele Pfaffen getötet?«
»Viele Männer«, berichtete er wahrheitsgemäß, »nicht nur Pfaffen. Aber es machte keinen Spaß, sie zu töten. Sie hatten nur wenige Waffen und wehrten sich kaum. Wahre Krieger kämpfen lieber gegen Feinde, die sich wehren.«
»So spricht ein ganzer Mann!«, erwiderte Gunnhild zufrieden. »Auf den Schafsinseln wirst du Gelegenheit bekommen, gegen einen solchen Mann zu kämpfen, das verspreche ich dir. Ich bin sehr gespannt auf diesen Kampf.«
Hakon hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, und bekam keine Gelegenheit, danach zu fragen. »An die Ruder!«, schallte der Befehl des Jarls über Deck, »unser Ziel ist nahe. Nehmt eure Plätze ein, ihr Faulpelze!«
Damit war auch seine Tochter gemeint. Gunnhild nahm es mit einem Grinsen zur Kenntnis und verpasste Hakon einen freundschaftlichen Fausthieb auf die Brust, bevor sie sich aufrichtete und ihren Ruderplatz einnahm. Er konnte sie von seinem Lager aus sehen, bemerkte nicht ohne Bewunderung, wie geschickt sie das Ruder durchs Wasser zog. Ihre Zöpfe wippten bei jeder Bewegung. Jeden ihrer Ruderschläge begleitete sie mit einem lauten Stöhnen.
Hakon stemmte sich auf den linken Unterarm und verharrte eine Weile in dieser Stellung, bis das Brummen in seinem Schädel nachließ. Die Stunden im Meer hatten ihm mehr zugesetzt, als er sich eingestehen wollte. Dann richtete er sich in eine sitzende Stellung auf. Er sah, wie Astrid aufsprang, um ihm zu Hilfe zu eilen, und sich rasch wieder setzte, als sie den strafenden Blick von Gunnhild bemerkte. Hakon wich ihrem Blick aus.
In einiger Entfernung waren bereits die Schafsinseln zu sehen. Die Sonne war hinter Wolken verschwunden und fahles Licht hing über der zerklüfteten Küste. Schroffe dunkle
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