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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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verzaubert. Sie warteten darauf, dass er sich auf die Suche nach ihr machte. Aber wo war das Buch, das ihm den Weg zeigen würde? Wieder kam ein Seufzen über seine Lippen. Ivar hatte es sicher längst verkauft. An einen Händler, der überall zwischen den Schafsinseln und dem fernen Córdoba sein konnte. An einen Christen, der es im Gewölbe einer ihrer vielen Kirchen verschließen würde.
    Er schlief kaum in dieser Nacht und fühlte sich wie gerädert, als er am frühen Morgen erwachte. Durch die Windlöcher im Dach fiel noch kein Licht. Im unruhigen Schein der beiden Öllampen, die auch nachts brannten, erkannte er die in Felle und Decken gehüllten schlafenden Bewohner, alles Verwandte von Kolfinn, der mit seiner Frau in einem breiten und mit zahlreichen Schnitzereien verzierten Bett neben dem Hochsitz schlief. Sein Schnarchen drang durch den ganzen Raum, schien aber niemand zu stören. Nur eines der Kinder war schon wach und krabbelte über den warmen Lehmboden beim Feuer. Seine Mutter öffnete gähnend die Augen und zog es unter die Felle zurück.
    Neben ihm erwachte Gunnhild. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie aufstand, in ihre Schuhe schlüpfte und sich einen Umhang aus Schaffell überwarf. Er schloss rasch die Augen, als sie zu ihm herüberblickte. Als er sie vorsichtig wieder öffnete, verließ sie gerade das Haus. Sie ließ die Tür offen stehen und er hörte sie rufen: »Steht auf, ihr faulen Hunde! Zieht eure Lumpen an und geht an die Arbeit! Oder muss ich euch aus den Fellen prügeln?«
    Er nahm an, dass sie die Sklaven weckte und nicht zögern würde, zur Peitsche zu greifen, wenn sie nicht gehorchten. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen kehrte sie ins Haus zurück. Er ahnte, dass es keinen Zweck hatte, sich schlafend zu stellen, und blickte ihr entgegen. »Ich grüße dich, Gunnhild«, sagte er. »Du bist früh auf. Alle anderen schlafen noch. «
    »Du nicht«, erwiderte sie. »Komm mit!«
    »Wohin? Ich habe kaum etwas anzuziehen.«
    »Komm mit!« Sie griff nach einem prall gefüllten Beutel und hielt ihm die freie Hand hin. »Was ist? Hast du etwa Angst vor dem kalten Morgenwind?«
    »Unsinn! In Eisland ist es genauso kalt.«
    Sie lächelte immer noch. »Das war nur ein Scherz, Hakon! Komm jetzt!«
    Er ließ sich widerwillig von seinem Lager hochziehen und hätte sich am liebsten in ein Fell gehüllt, so sehr schämte er sich für die einfache Kleidung, die man ihm auf dem Schiff gegeben hatte. Hinter ihm war das Schnarchen verstummt, doch er wagte nicht sich umzudrehen.
    »Du bist wieder gesund«, stellte Gunnhild erfreut fest. Sie ließ seine Hand los. »Das ging schneller, als ich dachte. Komm, ich will dir etwas zeigen.«
    Mit gemischten Gefühlen folgte er der Tochter des Jarls aus dem Haus. Im Feuerschein sah er, dass sie meisten Bewohner aufgewacht waren und sie neugierig beobachteten. Die vielen Augen, die er plötzlich auf sich gerichtet sah, ließen ihn erröten. Erwartete die Sippe, dass er sich gegen Gunnhild auflehnte? Ihr zeigte, wie ein erwachsener Krieger mit einer Frau umsprang, die versuchte, ihn wie einen Sklaven herumzuscheuchen? Aber was blieb ihm anderes übrig? Wenn er sich mit Gunnhild anlegte, ließ Kolfinn ihn umbringen oder ins Meer werfen.
    Die Tochter des Jarls führte ihn an der Steinmauer entlang vom Hof weg. Im Osten kündigte ein heller Streifen bereits den Tag an. Vor den Sklavenhütten brannten Fackeln, und einige spärlich bekleidete Frauen verbeugten sich unterwürfig vor ihnen und beeilten sich, zum Langhaus zu kommen. Auf den Weiden im Süden blökten Schafe. Frischer Wind trieb Nebelfetzen über die feuchten Wiesen und gegen die Felsen, die dunkel und unheimlich aus dem Dunst ragten.
    Über einen Pfad, der sich über die grasbewachsenen Hügel im Osten wand, führte Gunnhild ihn in ein schmales Tal, das zwischen den hoch aufragenden Felsen tief eingeschnitten war. Einige Pferde, die dort weideten, hoben neugierig die Köpfe. Der Wind verfing sich in den dunklen Höhlen, die wie leere Augen in den Felsen klafften, und sang ein trauriges Lied.
    Am Rand einer Klippe, die so plötzlich nach unten abfiel, dass er beinahe in die Tiefe gestürzt wäre, hielt Gunnhild an. Sie grinste spöttisch, als sie sah, wie er mühsam das Gleichgewicht hielt. Ungefähr zwanzig Schritte unter ihnen leuchtete ein grüner See. Wie ein Juwel lag er zwischen den schwarzen Felsen. Ein schmaler Pfad führte in zahlreichen Windungen zum Ufer hinab.
    »Zieh dich aus!«,

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