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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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könnte.«
    »Was meinen Sie damit? Eine Art der Opferung?«
    »Nein. Eine sehr viel prosaischere Angelegenheit: Das Vieh wird so geschlachtet. Man nimmt einen kleinen Einschnitt unterhalb des Brustkorbs vor, schiebt den Arm hinein und klemmt die Aorta ab, mit bloßen Händen.«
    Aus der Tiefe ihres Gedächtnisses dämmerte eine Erinnerung herauf.
    »Der Ethnologe meint«, fuhr Langlois unterdessen fort, »die Technik sei in der Mongolei ziemlich verbreitet. Damit kann man ein Schaf oder Ren töten, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, und darauf kommt es an, denn in dem kalten Klima zählt jeder noch so winzige Energielieferant. Außerdem fürchtet man sich dort offenbar vor fließendem Blut. Es ist ein Tabu.«
    Skeptisch fragte Diane: »Somit käme der Mörder aus Zentralasien?«
    »Vielleicht. Er könnte aber auch dort gelebt und die Gebräuche kennen gelernt haben. Mein Gerichtsmediziner meint, rein anatomisch sind wir von einem Schaf nicht so verschieden.«
    »Das scheint mir aber ziemlich weit hergeholt«, wandte sie ein.
    »Mir auch. Bis auf ein Detail.«
    Diane drehte sich zu ihm. Langlois reichte ihr die Kopie eines Formulars in deutscher Sprache mit dem Briefkopf eines Reisebüros.
    »Rolf van Kaen plante eine Reise in die Mongolei.«
    »Was sagen Sie da?«
    »Das deutsche BKA ermittelt weiter in der Sache. Sie haben sämtliche Anrufe des Arztes überprüft. Van Kaen hat sich nach Flugverbindungen erkundigt, zuerst nach Ulan Bator, der Hauptstadt der …«
    »… Mongolischen Republik.«
    »Kennen Sie das etwa?«, fragte Langlois mit einem überraschten Blick auf Diane.
    »Nur dem Namen nach.«
    »Außerdem informierte er sich über Inlandsflüge, und zwar zu einer Kleinstadt oder Siedlung im äußersten Norden …« Er las aus seinen Notizen vor: »Tsagaan-Nuur. Anscheinend war das Einzige, was noch nicht feststand, der Tag der Abreise. Also, im Hinblick auf die Technik des Mörders könnte das eine Verbindung sein. Eine sehr schwache zwar, aber immerhin …«
    Langlois schwieg eine Weile. Dann fragte er leise: »Und Sie? Haben Sie was Neues für mich?«
    Sie zuckte die Achseln und starrte wieder zu den Gärten hinüber. Wie ein Paillettenschauer floss der Regen über die Windschutzscheibe. »Nein«, sagte sie. »Ich habe mit dem Waisenhaus telefoniert. Sie wissen nichts.«
    »Ist das alles?«
    »Ich habe eine Kassette, auf der Lucien in seiner Muttersprache singt, und diese Kassette habe ich einer Expertin zur Prüfung gegeben.«
    »Sehr gut. Sonst noch etwas?«
    Diane dachte an ihre Theorie von einem absichtlich herbeigeführten Unfall, von einem Kamikazemörder, der sich in ihr Auto eingeschlichen hatte … »Nein, sonst nichts«, antwortete sie.
    »Warum wollten Sie unbedingt Namen und Adresse des Lkw-Fahrers wissen?«, fragte Langlois.
    Sie zuckte innerlich zusammen, ließ sich aber nichts anmerken. »Ich wollte nur mit ihm reden. Ihn über Luciens Zustand informieren.«
    Langlois seufzte. Der Regen füllte das Schweigen mit gleichmäßigem metallischem Prasseln. »Die Leute vergessen immer unsere Erfahrung«, sagte er.
    Perplex sah sie ihn an. »Was meinen Sie damit?«
    »Ich will Ihnen sagen, was ich damit meine: Sie stellen Ihre eigenen privaten Nachforschungen an.«
    »Darum haben Sie mich doch gebeten, oder?«
    »Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, wovon ich rede. Ich meine Nachforschungen über den Mord an van Kaen.«
    »Warum sollte ich?«
    »Diane, allmählich kenne ich Sie ein bisschen besser, und offen gestanden würde ich mich eher wundern, wenn Sie’s nicht täten …«
    Sie gab keine Antwort. In ernstem Ton fügte Langlois hinzu: »Seien Sie vorsichtig. Wir kennen noch nicht mal zehn Prozent von diesem Fall. Der Schuss kann jederzeit nach hinten losgehen – womöglich dort, wo wir’s am wenigsten vermuten. Spielen Sie nicht Emma Peel.«
    Sie nickte wie ein fügsames Kind. Langlois öffnete seine Tür, ein Windstoß trieb einen Schwall Regen herein. »Das nächste Mal lade ich Sie zum Mittagessen ein«, sagte er zum Abschied. Dann stieg er aus und fügte hinzu: »Die Polizei kennt die besten Fast-Food-Lokale in ganz Paris. Wussten Sie, dass jeder Milchshake anders schmeckt? Eine wahre Schule des Schmeckens!«
    »Ich werde versuchen, mich zu bewähren«, entgegnete Diane grinsend, obwohl ihr nicht gerade zum Lachen zumute war.
    Langlois beugte sich noch einmal herunter, während der Regen auf seinen Rücken trommelte. »Und denken Sie dran: keine unbesonnenen Risiken, keine

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