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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Heldentaten! Sobald Ihnen irgendwas komisch vorkommt, rufen Sie mich an. Verstanden?«
    Diane nickte mit einem letzten Lächeln, doch als die Tür ins Schloss fiel, hatte sie das Gefühl, als würde ein Sargdeckel zugeschlagen.
     

 
     
KAPITEL 24
     
    Sie betrachtete ihn wie eine Lichtquelle, der ihre Dunkelheit erhellte.
    Sein Verband war jetzt anders: nicht mehr dick und fest um den Kopf gewickelt, sondern eine schlichte Gazehülle. Die Dränageschläuche waren entfernt worden, sicher schon am Morgen, und das war ein entscheidender Schritt: Es bestand keine Gefahr einer Gehirnblutung mehr.
    Sie rückte ihren Stuhl näher zum Bett und strich behutsam mit der Fingerkuppe über die Stirn des Kindes, über seine Nasenflügel, die geschwungenen Lippen. Sie dachte an ihre ersten gemeinsamen Abende, als sie ihm leise Märchen erzählt hatte und ihre Hand in der Dunkelheit das völlig entspannte Gesicht gestreichelt hatte, die Umrisse des schon halb schlafenden Körpers, der sich unter den Wellen des Atems sanft hob und senkte, und fühlte sich wieder bereit zu der Reise entlang diesen winzigen Gipfeln, den geheimnisvollen Tälern … Hingerissen spürte sie, wie in dem gemarterten, bandagierten Körper von neuem das Leben pulsierte, stärker wurde, sich behauptete.
    Doch hinter einem Schmerz verbirgt sich manchmal ein zweiter. Jetzt, da keine akute Lebensgefahr mehr bestand, spürte Diane, wie sich neue Qualen bemerkbar machten. So wie sich in einem Körper die Schmerzen melden, wenn der Schock abklingt, so entdeckte sie weitere Abstufungen des Leids. Sie spürte jede Wunde, jede Prellung ihres Kindes am eigenen Leib und empfand ohnmächtigen Zorn. Sie lernte eine neue Art der Verzweiflung kennen – den Schmerz aus Mitgefühl.
    Vor allem aber plagte sie eine Gewissheit, die sich nicht verdrängen ließ: Irgendwo in der Umgebung des Kindes lauerte eine Gefahr. Diese Überzeugung wurde zur Besessenheit. Niemals konnte sie sich eine Zukunft vorstellen, wenn sie nicht selbst dazu beitrug, das Rätsel zu lösen. Deshalb stand ihr Entschluss endgültig fest; deshalb hatte sie den Hypnotherapeuten Paul Sacher angerufen und für denselben Abend um achtzehn Uhr einen Termin vereinbart.
    Auf einmal fiel ihr Blick auf das am Bettgestänge befestigte Patientenblatt, auf dem Luciens Fieberkurve sowie Art und Dosierung der täglich verabreichten Medikamente verzeichnet waren. Sie erstarrte: Die mit Bleistift gezeichnete Linie zeigte drei Spitzenwerte zwischen elf Uhr abends und zehn Uhr morgens. Und nicht etwa relative Spitzen, sondern absolute: Alle drei lagen über vierzig Grad.
    Diane nahm den Hörer des Wandtelefons ab, wählte die Nummer von Eric Daguerre und erfuhr, dass der Chirurg im OP sei. Sie rief die Stationsschwester. Eine Minute später tauchte hinter der Glasscheibe zum Korridor der graue Schopf von Madame Ferrer auf.
    Ehe Diane etwas sagen konnte, kam ihr die Schwester zuvor: »Doktor Daguerre hat mich angewiesen, Sie nicht zu alarmieren. Es hätte Sie nur unnötig beunruhigt.«
    »Tatsächlich?«, schnaubte Diane.
    »Die Fieberschübe hielten immer nur ein paar Minuten an. Das ist eine harmlose Reaktion.«
    »Harmlos!«, wetterte Diane. »Einundvierzig Grad?«
    »Doktor Daguerre hält das Fieber lediglich für eine Nachwirkung der Traumata. Für ein indirektes Zeichen, dass der Stoffwechsel des Kindes wieder normal zu funktionieren beginnt.«
    Diane beugte sich vor und strich die Bettdecke glatt, eine Geste reiner Nervosität. »Sie werden mich gefälligst verständigen, sobald das nächste Mal eine Veränderung eintritt. Ist das klar?«
    »Selbstverständlich. Aber ich sage es Ihnen noch einmal: Es hat keine Bedeutung.«
    Diane strich noch einmal über die Bettdecke, zupfte ihren Papierkittel zurecht, dann brach sie unvermittelt in ein aggressives Gelächter aus, das von den Tränen nicht weit entfernt war. »Keine Bedeutung! Aber ich nehme an, Doktor Daguerre ist trotzdem bereit, mit mir zu sprechen?«
    »Sobald er aus dem OP zurück ist.«
     

 
     
KAPITEL 25
     
    »Es ist alles in Ordnung, Diane. Das möchte ich Ihnen gleich versichern.«
    Diane konnte sich keine schlimmere Eröffnung vorstellen.
    »Und dieses Fieber?«, gab sie zurück.
    Eric Daguerre, der in seinem weißen Kittel hinter seinem Schreibtisch stand, wischte ihren Einwand mit einer unbekümmerten Handbewegung beiseite.
    »Das bedeutet nichts«, sagte er. »Luciens Zustand bessert sich kontinuierlich. Alle Anzeichen bestätigen, dass er auf

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