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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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würde sich selber darum kümmern …«
    »Was für ein Freund?«
    »Der große Herr, der auf Sie gewartet hat. Er hat mir den Schlüssel abgenommen und wollte den Wagen hierher fahren, aber« – er verdrehte die Augen zum Himmel – »wie es aussieht …«
    Diane erspähte ihren Wagen dreißig Meter weiter unter einer Linde. Rasch überquerte sie die kiesbestreute Terrasse. Hinter den Spiegelreflexen auf der Windschutzscheibe erkannte sie Patrick Langlois, der sich vergebens bemühte, den Wagen anzulassen. Sie klopfte ans Seitenfenster. Der Inspektor fuhr zusammen, dann lächelte er verwirrt und öffnete die Tür.
    »Ich hatte vergessen, dass diese Leihwagen ja einen Code haben. Tut mir leid. Ich wollte Sie überraschen …«
    Diane war sich nicht sicher, ob sie wütend auf ihn sein sollte. »Rutschen Sie rüber«, sagte sie.
    Unter Schwierigkeiten zwängte sich der Mann auf den Beifahrersitz.
    Sie stieg ein und fragte: »Was tun Sie überhaupt hier? Lassen Sie mich beschatten?«
    Langlois setzte eine entrüstete Miene auf. »Ich habe einen meiner Jungs losgeschickt, der Sie zum Mittagessen abholen sollte. Als er bei Ihnen ankam, machten Sie sich gerade auf den Weg. Er hat der Versuchung nicht widerstanden und ist Ihnen bis hierher gefolgt, dann hat er mich angerufen.«
    »Und warum sind Sie nicht hereingekommen?«
    Er deutete auf seinen nackten Hals. »Keine Krawatte«, sagte er. »Ich war nicht darauf vorbereitet.«
    Diane lächelte; sie war eindeutig nicht wütend auf ihn.
    »Ich weiß«, setzte er hinzu, »ich hätte meinen Ausweis zücken sollen. Mir mit Gewalt Zutritt verschaffen.«
    Sie brach in Gelächter aus. In Gegenwart dieses Mannes und der Sorglosigkeit, die er an den Tag legte, fühlte sie sich leichter, ruhiger, wie befreit von ihren Ängsten. Aber jetzt deutete Langlois auf das Restaurant und fragte: »Verstehen Sie sich gut mit Ihrem Stiefvater?«
    Diane missfiel der Ton seiner Frage. »Was stellen Sie sich denn vor?«, gab sie zurück.
    Der Mann klopfte mit den Fingernägeln auf die Fensterscheibe und warf einen abwesenden Blick in den Park. »Ich stelle mir gar nichts vor. Ich sehe alles Mögliche, weiter nichts.« Seine Augen lachten. »Bei meiner Arbeit, meine ich.«
    Diane sah ebenfalls zum Park hinüber. Der Regen hatte die Passanten verscheucht, die Mütter mit ihren Kindern, die Straßenverkäufer, und es war nur noch eine von Lichtern belebte, funkelnde Landschaft zu sehen. Spiegelnde Pfützen. Wogendes Grün. Steinerne Fassaden, nass, glänzend. Sie fühlte sich an einen Strand bei Ebbe erinnert und empfand auf einmal eine Lust auf Süßes, auf Zuckerwerk und Pfefferminzbonbons.
    »Warum wollten Sie mich sehen?«, fragte sie.
    In seinen Händen tauchte unvermittelt die Aktenmappe auf. »Ich wollte Ihnen berichten, was es Neues gibt. Sie über meine Hypothesen in Kenntnis setzen.«
    Er blätterte in seinen Unterlagen. Langlois gehörte anscheinend dieser neuen Schule leicht abgehobener Snobs an, die sich dem beherrschenden Einfluss der Technik auf das tägliche Leben entzogen – einer der von der Sorte, die imstande sind, das Loblied des Spiralhefts zu singen, und sich weigern, ein Mobiltelefon zu benutzen.
    »Dieser Fall«, fuhr er fort, »ist eine Ansammlung von Absurditäten. Da ist die Grausamkeit des Mordes. Die offensichtliche Kraft des Mörders. Gleichzeitig seine wahrscheinliche Körpergröße von rund einem Meter sechzig. Aber da ist noch ein anderes Rätsel. Rein anatomischer Natur.«
    Langlois verstummte. Der Regen trommelte eine leise Sarabande auf das Autodach. Mit einer Kopfbewegung forderte Diane ihn auf weiterzusprechen.
    »Wir wissen nicht, wie es der Mörder geschafft hat, allein durch Tasten zwischen all den inneren Organen die Aorta zu finden. Nach Ansicht unserer Forensiker brächte das nicht mal ein erfahrener Chirurg zustande …« Er holte Atem und sprach weiter: »Bis hierher ist das schon ziemlich viel Absurdität. Ich habe es also mit einem anderen Ansatz versucht und mich gefragt, ob es sich womöglich um ein Ritual handeln könnte, eine Opfertechnik, die beispielsweise in Vietnam praktiziert wird.«
    »Und was haben Sie herausgefunden?«
    »Vorerst nichts Greifbares. Jedenfalls nicht in Südostasien. Aber ein Ethnologe vom Völkerkundemuseum hat mich nach Zentralasien verwiesen – Sibirien, Mongolei, Tibet, der Nordwesten Chinas … Ich habe noch mit anderen Experten gesprochen. Einer von ihnen hat mir von einer Technik erzählt, die zu der Mordmethode passen

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