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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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beinahe erleichtert. »Hör zu«, antwortete er in beruhigendem Ton, »ich verstehe vollkommen, dass die Sache dir sehr nahe geht, aber …«
    »Nein. Jetzt hörst du mir mal zu.« Diane stützte beide Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich vor. »Im Ernst: Hältst du mich für verrückt?«
    »Nie im Leben.«
    »Du weißt, dass ich mehrfach wegen Problemen dieser Sorte in stationärer Behandlung war. Du selbst hast mir geholfen, meine Klinikaufenthalte bei dem Adoptionsantrag zu bemänteln. Und jetzt möchte ich wissen, wie du mich heute findest. Hältst du mich für völlig geheilt?«
    »Ja.«
    Aus seinem Ton hörte sie ein leises Zögern heraus. »Aber?«, hakte sie nach.
    »Du bist immer noch … originell.«
    »Ich möchte eine eindeutige Antwort hören. Glaubst du, dass von meinen früheren Schwierigkeiten psychische Schäden zurückgeblieben sind? Oder habe ich wirklich mein Gleichgewicht wieder?«
    Charles stieß bedächtig den Zigarrenrauch aus.
    »Ja«, sagte er schließlich, »du bist vollkommen geheilt. Vollkommen ausgeglichen. Du bist das Gegenteil einer Exzentrikerin oder Hysterikerin. Du bist eine sehr vernünftige Person. Pragmatisch. Beinahe manisch in deiner Vorliebe für alles Geradlinige. Eine echte Wissenschaftlerin.«
    Diane lächelte zum ersten Mal. Sie wusste, dass er es ehrlich meinte.
    »Wie erklärst du dir dann«, fragte sie, »dass ich vergessen haben soll, den Sicherheitsgurt zu schließen?«
    »Wir hatten einiges getrunken, es war spät, wir …«
    Diane schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Tassen klirrten. Die noch anwesenden Gäste sahen zu ihnen herüber.
    »Lucien ist das Wichtigste in meinem Leben«, rief sie. »Er ist das Beste, was mir je widerfahren ist, seit ich alt genug bin, um Entscheidungen zu treffen. Und ich soll nach ein paar Gläsern Champagner die grundlegendste Sicherheitsmaßnahme vergessen haben? Soll ihn wie einen Rucksack hinten im Wagen abgelegt haben?«
    Charles nahm einen Zug von seiner Zigarre. »Das alles noch einmal durchzukauen, halte ich nicht für klug. Zieh einen Schlussstrich darunter, schau nach vorn …«
    Diane griff nach ihrem Regenmantel. »Okay. Ich dachte, ich könnte Hilfe von dir bekommen, aber das war ein Irrtum. Macht nichts, schließlich werden im Branchenverzeichnis noch mehrere …«
    »Er heißt Paul Sacher.«
    Charles zog einen dicken Stift mit Elfenbeinhülle aus dem Jackett und schrieb Namen und Telefonnummer auf die Rückseite seiner Visitenkarte.
    »Er ist ziemlich ausgebucht, aber wenn du dich auf mich berufst, schiebt er dich bestimmt irgendwo dazwischen. Aber sieh dich vor: Er ist ein Schürzenjäger. Als er noch unterrichtete, machte er sich grundsätzlich an das hübscheste Mädchen im Kurs heran, und die anderen konnten nur zuschauen und den Mund halten. Ein Rudelführer, wie er im Buche steht.«
    Diane steckte die Karte in die Tasche. Sie dankte ihm nicht. Sie lächelte nicht einmal. Stattdessen sagte sie: »Da ist noch etwas, abgesehen vom Alkohol, was mich an dem Abend aus der Fassung hätte bringen können.«
    »Was?«
    »Dass du mich geküsst hast, im Treppenhaus.«
    Seine Brauen hoben sich unschlüssig, Charles Helikian strich sich über seinen Bart. »Ach, das …«, murmelte er.
    Diane ließ ihn nicht aus den Augen. »Warum hast du das getan?«
    »Weiß ich nicht. Es war … spontan.«
    »Charles Helikian, der große Psychoexperte. Lass dir was Besseres einfallen.«
    Charles war sichtlich verlegen. »Nein, wirklich, es ist aus dem Augenblick heraus entstanden. Das schlafende Kind in deinen Armen. Und du, so kerzengerade im Halbdunkel, stoisch wie immer. Und dieser Abend, an dem du so anders warst. So … frei. Ich wollte dir viel Glück wünschen, weiter nichts.«
    Diane griff nach ihrer Handtasche und stand auf. »Glück kann ich allerdings brauchen«, schloss sie. »Und besonders jetzt, wie mir scheint.«
    Sie drehte sich auf dem Absatz um und ließ den Perserkönig in seiner Nische zurück. Mit energischen Schritten durchquerte sie den Saal, der sich inzwischen geleert hatte: Im gedämpften Licht blitzten nur noch die goldenen Gemälde und die regengepeitschten Fensterscheiben.
    »Diane!«
    Sie war bereits in der marmornen Eingangshalle angelangt. Sie drehte sich um und sah Charles auf sich zukommen.
    »Du lieber Himmel, was hast du vor? Du verschweigst mir doch etwas«, sagte er.
    Sie wartete, bis er bei ihr angelangt war. »Ich will es nur wissen«, wiederholte sie, »die Sache mit dem

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