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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Sicherheitsgurt.«
    »Nein«, erwiderte er. »Du willst den Unfall noch mal erleben, weil du denkst, es war gar kein Unfall.«
    Diane empfand eine plötzliche Bewunderung für den Psychologen in ihm. Er hatte sie durchschaut, hatte jenseits der rationalen Ebene ihre Gedanken gelesen. »Das stimmt«, sagte sie. »Ich glaube allerdings, dass dieser Zusammenstoß in irgendeiner Verbindung mit dem Mord an van Kaen steht. Das ist die einzige mögliche Schlussfolgerung. Ein Zufall kann es nicht sein. Ich bin überzeugt, dass Lucien im Mittelpunkt einer Angelegenheit steht, die noch völlig im Dunkeln ist.«
    »Du lieber Gott …«, murmelte Charles.
    »Und sag jetzt nicht, dass ich verrückt bin.«
    Unter seinem gebräunten Teint war ihr Stiefvater erbleicht. »Du meinst wirklich, dass dieser Unfall … ein Mordversuch war?«
    »Ich habe noch nicht alle Indizien beisammen.«
    »Was für Indizien?«
    »Warte ab.«
    Diane wandte sich zum Gehen. Er hielt ihren Arm fest. Seine Lider flatterten wie Schmetterlingsflügel. »Hör mich an. Wir beide kennen uns seit sechzehn Jahren. Nie habe ich bei deiner Erziehung reingeredet. Nie habe ich mich in deine Beziehung zu deiner Mutter eingemischt. Aber das geht jetzt wirklich zu weit. Das ist absurd!«
    Sie grinste ihn frech, beinahe lausbübisch an. »Wenn alles nur in meinem Kopf ist, dann brauchst du ja keinen Grund zur Sorge zu haben«, warf sie ihm hin.
    »Red nicht so einen Unsinn! Du spielst vielleicht mit dem Feuer und merkst es nicht mal!«
    Er hatte beinahe geschrien. Diane spürte im Hintergrund die Blicke der reglosen Ober, die Charles Helikian zweifellos zum allerersten Mal in dieser Verfassung erlebten.
    »Du hast ja keine Ahnung«, fuhr er fort, leiser. »Angenommen … wohlgemerkt: nur mal angenommen, du hättest Recht: Darauf kannst und darfst du dich nicht einlassen. Das ist Sache der Polizei.« Ohne ihr Zeit zu einer Antwort zu lassen, fuhr er fort: »Und der Sicherheitsgurt? Inwiefern soll er in eine andere Richtung deuten? Im Sachverständigengutachten heißt es eindeutig, dass er nicht geschlossen war. Also was …«
    »Ich bin vollkommen sicher, dass ich Lucien angegurtet habe.«
    Charles’ Miene verdüsterte sich. »Also? Soll sich Lucien selber …?«
    »Lucien hat tief und fest geschlafen. Ich habe ihn im Rückspiegel beobachtet.«
    »Ja, was denn dann? Ist der Gurt vielleicht von selber aufgegangen?«
    Diane trat näher. Sie überragte Charles um Haupteslänge. In vertraulichem Ton flüsterte sie: »Du kennst doch die Formel: Wenn man alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, was bleibt dann? Das Unmögliche.«
    Mit finsterem Blick starrte Charles sie an. »Und was wäre das Unmögliche?«
    Diane beugte sich noch tiefer herab. Sie sah das Wageninnere vor sich, das Blut, die Glasscherben, die dunklen Nischen, die zerknitterte Decke. Ihr Tonfall war sanft, beinahe schleppend, doch es schwang auch Angst in ihrer Stimme mit, als sie sagte: »Das Unmögliche ist, dass ich nicht allein mit Lucien im Wagen war.«
     

 
     
KAPITEL 23
     
    Draußen tanzten die Gärten der Champs-Élysées einen Reigen aus Wasser und Licht. Der Regen ließ die Sonnenstrahlen, die hier und dort durch die Wolken brachen, noch greller leuchten. Die Blätter raschelten im Wind und erwiderten die senkrechten Linien des Regens mit zarten grünen Schnörkeln. Diane setzte ihre Sonnenbrille auf und blieb zögernd auf der Treppe stehen.
    Sie war selbst erschüttert, dass sie ihre Vermutung laut ausgesprochen hatte: ein Mann, der sich in ihrem Wagen versteckt hätte, zweifellos unter der Decke oder im Kofferraum, um während der Fahrt Luciens Sicherheitsgurt zu lösen – eine Art Kamikaze, der bereit war, in dem metallenen Schraubstock sein Leben zu lassen, nur um sicherzustellen, dass der kleine Junge völlig ungeschützt war.
    Natürlich hatte die Theorie weder Hand noch Fuß. Wer würde sich denn einem solchen Risiko aussetzen? Wer würde sich mitten hinein in die Falle begeben und sich damit selbst opfern? Außerdem war nach dem Unfall nicht der geringste Hinweis auf einen weiteren Fahrzeuginsassen gefunden worden. Trotzdem kam sie nicht von dieser Idee los …
    In dem Moment trat der Parkplatzwächter auf sie zu und stieß hastig hervor: »Ihr Wagen kommt sofort, Madame.« Doch sein Tonfall und seine Miene drückten das Gegenteil aus.
    »Was ist los?«, fragte Diane.
    Der uniformierte Mann warf einen verzweifelten Blick zum Parkplatz hinüber.
    »Ihr Freund«, begann er. »Er meinte, er

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