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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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all das Blut! Wir schämten uns. Aber es sollen im Kriege sogar Generäle zuweilen so empfunden haben.
    «Wir wollen nicht länger hier bleiben», klagte Dora, «wir wollen hinuntergehen, gewiß finden wir in den Wagen etwas zum Essen. Habt ihr denn 165
    keinen Hunger, ihr Bolschewiken?»
    Drunten in der brennenden Stadt fingen die Glocken an zu läuten, aufgeregt und angstvoll. Wir machten uns an den Abstieg. Als ich Dora über die Brüstung klettern half, küßte ich ihre Knie. Sie lachte hell. Aber da gab das Gestänge nach, und wir stürzten beide ins Leere ...
    Wieder befand ich mich im runden Korridor, angeregt von dem Jagdabenteuer.
    Und überall, an allen unzähligen Türen, lockten die Inschriften: Mutabor Verwandlung in beliebige Tiere und Pflanzen
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    Endlos lief die Reihe der Inschriften. Eine hieß:
    Anleitung zum Aufbau der Persönlichkeit Erfolg garantiert Das schien mir beachtenswert, und ich trat in diese Tür.
    Es empfing mich ein dämmriger, stiller Raum, darin saß, ohne Stuhl nach morgenländische Art, ein Mann auf dem Boden, der hatte vor sich etwas wie ein großes Schachbrett stehen. Im ersten Augenblick schien es mir Freund Pablo zu sein, wenigstens trug der Mann eine ähnliche buntseidene Jacke und hatte dieselben dunkel strahlenden Augen.
    «Sind Sie Pablo?» fragte ich.
    «Ich bin niemand», erklärte er freundlich. «Wir tragen hier keine Namen, wir sind hier keine Personen. Ich bin ein Schachspieler. Wünschen Sie Un terricht über den Aufbau der Persönlichkeit?»
    «Ja, bitte.»
    «Dann stellen Sie mir freundlichst ein paar Dutzend Ihrer Figuren zur Verfügung.»
    «Meiner Figuren ...?»
    «Der Figuren, in welche Sie Ihre sogenannte Persönlichkeit haben zerfallen sehen. Ohne Figuren kann ich ja nicht spielen.»
    Er hielt mir einen Spiegel vor, wieder sah ich darin die Einheit meiner Person in viele Ichs zerfallen, ihre Zahl schien noch gewachsen zu sein. Die Figuren waren aber jetzt sehr klein, so groß etwa wie handliche Schachfiguren, und der Spieler nahm mit stillen, sichern Fingergriffen einige Dutzend davon und stellte sie neben dem Schachbrett an den Boden. Eintönig sprach er dazu, wie ein Mann, der eine oft gehaltene Rede oder Lektion wiederholt:
    «Die fehlerhafte und Unglück bringende Auffassung, als sei ein Mensch eine dauernde Einheit, ist Ihnen bekannt. Es ist Ihnen auch bekannt, daß der Mensch aus einer Menge von Seelen, aus sehr vielen Ichs besteht. Die scheinbare Einheit der Person in diese vielen Figuren auseinanderzuspalten gilt für verrückt, die Wissenschaft hat dafür den Namen Schizophrenie erfunden. Die Wissenschaft hat damit insofern recht, als natürlich keine Vielheit ohne Führung, ohne eine 167
    gewisse Ordnung und Gruppierung zu bändigen ist. Unrecht dagegen hat sie darin, daß sie glaubt, es sei nur eine einmalige, bindende, lebenslängliche Ordnung der vielen Unter-Ichs möglich. Dieser Irrtum der Wissenschaft hat manche unangenehme Folgen, sein Wert liegt lediglich darin, daß die staatlich angestellten Lehrer und Erzieher sich ihre Arbeit vereinfacht und das Denken und Experimentieren erspart sehen. Infolge jenes Irrtums gelten viele Menschen für 'normal' ja für sozial hochwertig, welche unheilbar verrückt sind, und umgekehrt werden manche für verrückt angesehen, welche Genies sind. Wir ergänzen daher die lückenhafte Seelenlehre der Wissenschaft durch den Begriff, den wir Aufbaukunst nennen. Wir zeigen demjenigen, der das Auseinanderfallen seines Ichs erlebt hat, daß er die Stücke jederzeit in beliebiger Ordnung neu zusammenstellen und daß er damit eine unendliche Mannigfaltigkeit des Lebensspieles erzielen kann. Wie der Dichter aus einer Handvoll Figuren ein Drama schafft, so bauen wir aus den Figuren unsres zerlegten Ichs immerzu neue Gruppen, mit neuen Spielen und Spannungen, mit ewig neuen Situationen. Sehen Sie!».
    Mit den stillen, klugen Fingern griff er meine Figuren, alle die Greise, Jünglinge, Kinder, Frauen, alle die

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