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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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erklärte ihr, es sei Krieg und sie möge zeigen, daß sie ein braves, tapferes Mädel sei. Da ging es.
    «Aber was soll aus uns werden?» fragte sie dann.
    «Ich weiß nicht», sagte Gustav. «Mein Freund Harry hat hübsche Frauen gern, 163
    er wird Ihr Freund sein.»
    «Aber sie werden mit Polizei und Soldaten kommen und uns totmachen.»
    «Polizei und dergleichen gibt es nicht mehr. Wir haben die Wahl, Dora.
    Entweder bleiben wir ruhig hier oben und schießen alle Wagen zusammen, die vorbeiwollen. Oder wir nehmen selber einen Wagen, fahren davon und lassen andre auf uns schießen. Es ist einerlei, welche Partei wir ergreifen. Ich bin fürs Hierbleiben.»
    Unten war wieder ein Wagen, hell tönte seine Hupe herauf. Er war bald erledigt und blieb, die Räder zu oberst, liegen.
    «Komisch», sagte ich, «daß das Schießen so viel Spaß machen kann! Dabei war ich früher Kriegsgegner!»
    Gustav lächelte. «Ja, es sind eben gar zu viele Menschen auf der Welt. Früher merkte man es nicht so. Aber jetzt, wo jeder nicht bloß Luft atmen, sondern auch ein Auto haben will, jetzt merkt man es eben. Natürlich ist das, was wir da tun, nicht vernünftig, es ist eine Kinderei, wie auch der Krieg eine riesige Kinderei war. Später einmal wird die Menschheit lernen müssen, ihre Vermehrung durch vernünftige Mittel im Zaum zu halten. Vorderhand reagieren wir auf die unerträglichen Zustände ziemlich unvernünftig, tun aber im Grunde doch das Richtige: wir reduzieren.»
    «Ja», sagte ich, «was wir tun, ist wahrscheinlich verrückt, und wahrscheinlich ist es dennoch gut und notwendig. Es ist nicht gut, wenn die Menschheit den Verstand überanstrengt und Dinge mit Hilfe der Vernunft zu ordnen sucht, die der Vernunft noch gar nicht zugänglich sind. Dann entstehen solche Ideale wie das des Amerikaners oder das der Bolschewiken, die beide außerordentlich vernünftig sind, und die doch das Leben, weil sie es gar so naiv vereinfachen, furchtbar vergewaltigen und berauben. Das Bild des Menschen, einst ein hohes Ideal, ist im Begriff, zu einem Klischee zu werden. Wir Verrückten werden es vielleicht wieder adeln.»
    Lachend gab Gustav Antwort: «Junge, du redest wunderbar klug, es ist eine Freude und bringt Gewinn, diesem Weisheitsborn zu lauschen. Und vielleicht hast du sogar ein bißchen recht. Aber sei so gut und lade jetzt deine Flinte wieder, du bist mir ein wenig zu träumerisch. Jeden Augenblick können wieder 164
    ein paar Rehböckchen gelaufen kommen, die können wir nicht mit Philosophie tots chießen, es müssen immerhin Kugeln im Rohr sein.»
    Ein Auto kam und fiel sogleich, die Straße war gesperrt. Ein Überlebender, ein feister rotköpfiger Mann, gestikulierte wild neben den Trümmern, glotzte hinab und hinauf, entdeckte unser Versteck, kam brüllend gelaufen und schoß aus einem Revolver viele Male gegen uns herauf.
    «Gehen Sie jetzt oder ich schieße», schrie Gustav hinunter. Der Mann zielte auf ihn und schoß nochmals. Da schossen wir ihn ab, mit zwei Schüssen.
    Noch zwei Wagen kamen, die wir zur Strecke brachten. Dann blieb die Straße still und leer, die Nachricht von ihrer Gefährlichkeit schien sich verbreitet zu haben. Wir hatten Zeit, die schöne Aussicht zu betrachten. Jenseits des Sees lag eine kleine Stadt in der Tiefe, dort stieg Rauch auf, und bald sahen wir, wie das Feuer von Dach zu Dach lief. Man hörte auch schießen. Dora weinte ein wenig, ich streichelte ihr die nassen Wangen.
    «Müssen wir denn alle sterben?» fragte sie. Niemand gab Antwort. Inzwischen kam unten ein Fußgänger daher, sah die kaputten Automobile liegen, schnüffelte an ihnen herum, beugte sich in eines hinein, zog einen bunten Sonnenschirm, eine lederne Damentasche, eine Weinflasche heraus, setzte sich friedevoll auf die Mauer, trank aus der Flasche, aß etwas in Stanniol Gewickeltes aus der Tasche, trank die Flasche vollends leer, ging vergnügt weiter, den Sonnenschirm unter den Arm geklemmt. Friedlich zog er dahin, und ich sagte zu Gustav: «Wäre es dir nun möglich, auf diesen netten Kerl zu schießen und ihm ein Loch in den Kopf zu machen? Weiß Gott, ich könnte es nicht.»
    «Wird auch nicht verlangt», brummte mein Freund. Aber es war auch ihm unbehaglich ums Herz geworden. Kaum hatten wir einen Menschen zu Gesicht bekommen, der noch harmlos, friedlich und kindlich sich benahm, der noch im Stand der Unschuld lebte, da schien uns unser ganzes so löbliches und notwendiges Tun auf einmal dumm und widerlich. Pfui Teufel,

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