Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
heitern und traurigen, starken und zarten, flinken und unbeholfenen Figuren, ordnete sie rasch auf seinem Brett zu einem Spiel, in welchem sie alsbald zu Gruppen, Familien, zu Spielen und Kämpfen, zu Freundschaften und Gegnerschaften sich aufbauten, eine Welt im kleinen bildend. Vor meinen entzückten Augen ließ er die belebte und doch wohlgeordnete kleine Welt eine Weile sich bewegen, spielen und kämpfen, Bündnisse schließen und Schlachten schlagen, untereinander werben, heiraten, sich vermehren; es war in der Tat ein vielfiguriges, bewegtes und spannendes Drama.
    Dann strich er mit heiterer Gebärde über das Brett, warf alle Figuren sachte um, schob sie auf einen Haufen und baute nachdenklich, ein wählerischer Künstler, aus denselben Figuren ein ganz neues Spiel auf, mit ganz anderen Gruppierungen, Beziehungen und Verflechtungen. Das zweite Spiel war dem ersten verwandt: es war dieselbe Welt, dasselbe Material, aus dem er es aufbaute, aber die Tonart war verändert, das Tempo gewechselt, die Motive 168
    anders betont, die Situationen anders gestellt.
    Und so baute der kluge Aufbauer aus den Gestalten, deren je de ein Stück meiner selbst war, ein Spiel ums andre auf, alle einander von ferne ähnlich, alle erkennbar als derselben Welt angehörig, derselben Herkunft verpflichtet, dennoch jedes völlig neu.
    «Dies ist Lebenskunst», sprach er dozierend. «Sie selbst mögen künftig das Spiel Ihres Lebens beliebig weiter gestalten und beleben, verwickeln und bereichern, es liegt in Ihrer Hand. So wie die Verrücktheit, m einem höhern Sinn, der Anfang aller Weisheit ist, so ist Schizophrenie der Anfang aller Kunst, aller Phantasie. Sogar Gelehrte haben dies schon halb erkannt, wie man zum Beispiel in des Prinzen Wunderhorn nachlesen mag, jenem entzückenden Buch, in welchem die mühevolle und fleißige Arbeit eines Gelehrten durch die geniale Mitarbeit einer Anzahl von verrückten und in Anstalten eingesperrten Künstlern geadelt wird. — Hier, stecken Sie Ihre Figürchen nur zu sich, das Spiel wird Ihnen noch oft Freude machen. Sie werden die Figur, die heute sich zum unerträglichen Popanz ausgewachsen hat und Ihnen das Spiel verdirbt, morgen zur harmlosen Nebenfigur degradieren. Sie werden das arme liebe Figürchen, das eine Weile zu lauter Pech und Unstern verurteilt schien, im nächsten Spiel zur Prinzessin machen. Ich wünsche viel Vergnügen, mein Herr.»
    Ich verbeugte mich tief und dankbar vor diesem begabten Schachspieler, steckte die Figürchen in meine Tasche und zog mich durch die schmale Türe zurück.
    Eigentlich hatte ich mir gedacht, ich würde nun alsbald im Korridor mich an den Boden setzen und stundenlang, eine Ewigkeit lang, mit den Figuren spielen, aber kaum stand ich wieder in dem hellen runden Theatergang, so zogen neue Strömungen, stärker als ich, mich davon. Ein Plakat flammte grell vor meinen Augen auf:
    Wunder der Steppenwolfdressur
    Vielerlei Gefühle regte diese Inschrift in mir auf;
    allerlei Ängste und Zwänge aus meinem gewesenen Leben, aus der verlassenen 169
    Wirklichkeit her, zogen mir peinlich das Herz zusammen. Mit bebender Hand öffnete ich die Türe und kam in eine Jahrmarktbude, darin sah ich ein Eisengitter errichtet, das mich von der dürftigen Schaubühne trennte. Auf der Bühne aber sah ich einen Tierbändiger stehen, einen etwas marktschreierisch aussehenden und wichtigtuenden Herrn, der trotz großem Schnauzbart, trotz muskelstrotzendem Oberarm und geckenhafter Zirkuskleidung mir selbst auf eine hämische, recht widerwärtige Weise ähnlich sah. Dieser starke Mann führte
    — jämmerlicher Anblick! — einen großen, schönen, aber furchtbar abgemagerten und sklavischscheu blickenden Wolf an der Leine wie einen Hund.
    Und es war nun ebenso ekelhaft wie spannend, ebenso scheußlich wie dennoch heimlichlustvoll, diesen brutalen Bändiger das edle und doch so schmählich gehorsame Raubtier in einer Reihe von Tricks und sensationellen Szenen vorführen zu sehen.
    Der Mann, mein verfluchter Zerrspiegelzwilling, hatte seinen Wolf allerdings fabelhaft gezähmt. Der Wolf gehorchte aufmerksam jedem Befehl, reagierte hündisch auf jeden Zuruf und Peitschenknall, er fiel in die Knie, stellte sich tot, machte das Männchen, er trug einen Brotlaib, ein Ei, ein Stück Fleisch, ein Körbchen folgsam und artig in der Schnauze, ja, er mußte dem Bändiger die Peitsche, die dieser hatte fallen lassen, aufheben und im Maule nachtragen, wozu er unerträglich kriecherisch mit dem

Weitere Kostenlose Bücher