Der Stern von Yucatan
Ich möchte mit ihm reden und erfahren, warum sie es für nötig hielten, mich zu belügen. Das kannst du doch verstehen, oder?”
Er ließ sich Zeit mit der Antwort. “Ja”, gestand er mit offensichtlichem Zögern. “Aber, wie gesagt, ich hätte mir gewünscht, du hättest es vorher mit mir besprochen. Wir sind verlobt. Ich habe einfach unterstellt, dass du es mir sagst, ehe du dir ein Flugticket kaufst.”
“Ich will meinen Vater besuchen, nicht meinen Job aufgeben.”
“Dir einen Monat freizunehmen hat … doch auch Auswirkungen.”
“Was meinst du damit?”
“Unsere Flitterwochen. Man gibt dir nicht einen Monat frei und dann kurze Zeit später noch mal zwei Wochen.”
“Fünf Monate später.”
“Wie auch immer.”
“Gary, bitte. Versuch es von meinem Standpunkt aus zu betrachten.”
“Betrachte es von meinem.”
“Darling, es tut mir leid”, wiederholte Lorraine. “Ich hatte gehofft, du würdest es verstehen. Ich muss das machen, ehe ich mein normales Leben wieder aufnehmen kann. Ehe wir unser Leben beginnen können.”
Gary nickte langsam, als sei es ein Geschenk, ihrer Reise zuzustimmen. “Trotzdem wäre es besser gewesen, du hättest mich vorher informiert, damit ich meine Pläne einrichten und dich begleiten könnte.”
Sie begleiten? Daran hatte sie nicht ein einziges Mal gedacht. Er kann ja sowieso nicht, überlegte sie erleichtert. Zumal er gerade erst befördert worden war und seinen Nachfolger einarbeiten musste.
Doch das war nicht der wahre Grund, und das wusste sie. Sie liebte Gary, aber sie wollte ihn nicht dabeihaben. Diese Reise in die Vergangenheit ihrer Familie war ihr Abenteuer, ihres ganz allein.
Lorraine allein nach Mexiko fliegen zu lassen war Gary nicht leicht gefallen. Er liebte seine Verlobte und erkannte an, dass sie eine schwierige, aufwühlende Zeit durchmachte. Ein Teil seiner Liebe äußerte sich in der Bereitschaft, sie allein wegfliegen zu lassen. Nicht nur das, er hatte ihr angeboten, sie zum Flughafen zu bringen, was bedeutete, um vier Uhr morgens aufzustehen.
Er sah kurz auf die Uhr im Armaturenbrett. Viertel vor fünf. Sie hatten diese Reise seit dem Morgen, als Lorraine sie das erste Mal erwähnte, zahllose Male diskutiert, weil er überzeugt war, sie begehe einen Fehler. Aber Lorraine ließ sich nicht umstimmen und hörte ihm gar nicht mehr zu.
Obwohl er sie nur vor weiteren Verletzungen bewahren wollte, weigerte sie sich, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass diese Reise ein anderes Ergebnis haben könnte als eine freudige Wiedervereinigung mit dem Vater, den sie gar nicht kannte. Er hatte Lorraine immer für ihren gesunden Menschenverstand bewundert, doch in dieser unerfreulichen Angelegenheit zeigte sie wenig davon.
Gary hatte Lorraines Mutter sehr gemocht, und ihr Tod hatte auch ihn tief erschüttert. Virginias Geschäftssinn und die Tatsache, dass sie sich in einer Branche behauptete, die immer noch eine Männerbastion war, hatten ihm Respekt abgenötigt. Darüber hinaus traute er ihrem Urteil. Da sie sich entschlossen hatte, Lorraine eine Lüge über ihren Vater zu erzählen, nahm er an, dass es dafür einen triftigen Grund gab. Und er befürchtete, dass dieser Grund Lorraine eine schlimme Erfahrung oder ein gebrochenes Herz bescheren könnte.
Abgesehen von ihrer mangelnden Bereitschaft, seinen Rat anzunehmen, missfiel ihm auch, dass sie ihn nicht dabeihaben wollte. Sie hatte nicht mal versucht, das zu verbergen, und das schmerzte ihn.
Er parkte den Wagen und sammelte seine Gedanken, während er sich dem Haus näherte.
“Fertig?”, fragte er, als Lorraine ihm die Tür öffnete.
Sie nickte. Zumindest hat sie vernünftig gepackt, dachte er und bemerkte den mittelgroßen Koffer mit Rollen. Sie war nicht wie andere Frauen, die auf jeder Reise ihren halben Kleiderschrank mitschleppten. Sie sah kultiviert aus in ihrem cremefarbenen Leinenanzug, die blonden Haare ordentlich zurückgekämmt. Sie wirkte ein wenig nervös, aber offenbar entschlossen, durchzustehen, was immer geschah.
“Hast du deinen Pass?”
“Ja.”
“Travellerschecks?”
Sie nickte.
“Insektenabwehrmittel?”
“Gary! Ehrlich, du benimmst dich, als wäre ich ein Kind, das ins Ferienlager zieht.”
Er hatte es nicht so gesehen, aber wahrscheinlich hatte sie recht. “Tut mir leid”, entschuldigte er sich lächelnd.
Weil es so früh nur wenig Verkehr gab, brauchten sie nicht lange zum Flughafen. Gary bestand darauf, sie bis zum Flugsteig zu bringen. Dann standen
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