Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Sophie werben darf.«
Sophie. Für einen Moment blitzte das Gesicht des Persers in Olearius’ Erinnerung auf. Er sah die beiden in den Gärten arbeiten, Hand in Hand. Eigentlich hatte er immer gedacht, dass Farid und Sophie noch einmal zueinanderfinden könnten. Doch etwas schien sich wie eine Wand zwischen die beiden geschoben zu haben. Etwas Unbegreifliches. Olearius hatte nie ganz verstanden, was damals geschehen war.
Vage lächelnd breitete er die Arme aus.
»Sie ist nicht meine Tochter, Bösch. Und sie hat ihren eigenen Kopf. Ihr müsst mir versprechen, dass sie bis zur Fertigstellung des Globus in meiner Nähe bleibt. Und alles andere müsst ihr Sophie selbst fragen.«
Bösch nickte lächelnd, er schien erleichtert. In ihrem Rücken begann der Rabe eine Folge schriller Töne zu krächzen.
VIER
Über die Besuche an ihrem Krankenbett waren sie sich nähergekommen. Zunächst hatte Sophie noch gedacht, dass das schlechte Gewissen den Globusmeister an ihre Seite trieb. Und beschämt hatte sie versucht, ihn daran zu erinnern, dass Caspar oder zumindest doch der Rabe das Unglück ausgelöst hatten. Doch dann hatte sie bemerkt, dass Bösch nicht nur kam, um Abbitte zu leisten. Ja, dass seine Besuche mehr als eine lästige Pflicht für ihn waren. Es waren seine Hände gewesen, die ihn verraten hatten. Finger, deren nervöses Ringen er nicht unterdrücken konnte. Sie sagten mehr als jedes seiner Worte, die sich immer nur um das Fortschreiten des Globusbaus drehten.
Später, als sie sich schon wieder aufrichten konnte, ohne dass der Schwindel ihre Gedanken durcheinander wirbelte, brachte Bösch ihr Olearius’ Pläne, die sie gemeinsam zu entziffern versuchten. Auf einem flachen Brett, das ihr als Unterlage diente, begann Sophie, die verschlungenen Skizzen und Anweisungen des Hofgelehrten zu entwirren.
Nach außen hin mochten die Besuche des Globusmeisters vorgeben, dem Globusbau zu dienen. Doch mehr und mehr schlich sich eine vertrauliche Atmosphäre in das kleine Zimmer unter dem Dach. Sophie genoss die Anwesenheit des Globusmeisters, so wie sie es vorher genossen hatte, ihn bei der Arbeit in der Schmiede zu beobachten.
Inzwischen war man auf dem Hesterberg bei der Konstruktion der Kugelschale angelangt. Bösch hatte sich mit Olearius darauf verständigt, diese nicht massiv aus einem oder zwei Stücken Kupferblech zu treiben, sondern ein eisernes Gerippe aus Halbringen einzuarbeiten. Die Messingbuchsen, die der Kugelschale als Lager dienten, trugen eine tellerartige Verbreiterung, an dem die eisernen Rippen der Kugel strahlenförmig ansetzen sollten. Insgesamt vierundzwanzig Streben würden die Außenhaut stützen.
»Darüber löten wir zuletzt die einzeln getriebenen Kupferplatten«, erläuterte Bösch die nächsten Arbeitsschritte, welche dem Globus bereits seinen voluminösen Körper verleihen würden. »Zuletzt soll das Kupfer mit Leinwand bezogen werden, bevor die Bemalung aufgetragen werden kann.«
Während Sophie arbeitete, saß Bösch, groß und nahezu unbeweglich, wie ein Fels an ihrer Seite. Er hatte einen Stuhl an ihr Bett geschoben, Sophie spürte seinen Blick auf ihren zeichnenden Händen. Ihre Bewegungen auf dem Papier schienen sich in seinen Fingern fortzusetzen. Rastlos fuhren sie auf seinen Oberschenkeln auf und ab, so als erkundeten sie ein unbekanntes Terrain.
Sophie fragte sich, wie es wäre, seine Hände auf ihrem Körper zu spüren. Dann sah sie Farid vor sich, seine dunklen Augen, den sehnsüchtigen Blick. Ihre Welt war das Reich der Hecken und Terrassen gewesen, die duftenden Rabatten, das Labyrinth der Wasserspiele. Der Neuwerk-Garten beherbergte die letzten kostbaren Erinnerungen an ihre Kindheit, an den Zauber des Aufblühens und des Reifens. Gemeinsam hatten sie in den Gärten die letzten samtweichen Hüllen der Unbedarftheit abgestreift, sie waren eins gewesen – für einen Moment. Und das war ihr Sündenfall gewesen. Die Liebesnacht, dieses Treibenlassen auf ein unbekanntes Ufer zu, hatte das Band ihrer Freundschaft zerrissen. Es war wie die Vertreibung aus dem Paradies gewesen, denn alles, was sich in der Folge ereignet hatte, war als Gewalt und Tod über sie gekommen. Unaussprechliches, das Sophie mit niemandem teilen konnte. Danach waren sie auseinandergedriftet – Farid und Sophie, diese Brücke hatte nicht mehr getragen.
Noch einmal sah Sophie den Gefährten vor sich, das Fest seiner Taufe, sein Nicken, ein letzter Gruß, bevor er im Trubel der Festgesellschaft
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